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Anschlag auf den Silberpfeil

Anschlag auf den Silberpfeil

Titel: Anschlag auf den Silberpfeil
Autoren: Stefan Wolf
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schlimm ist wie Diebstahl. Die Dame an dem Tisch dort hat nämlich
dreieinhalb Bahnstunden von hier ihren Fahrausweis verloren und mußte einen
neuen lösen. Der verlorene weist einen Teefleck auf — einen Fleck mit vier
Ecken, Rhomboid, verursacht durch dunklen Assam-Tee. Auf der Vor- oder
Rückseite?“ wandte er sich an Christine.
    „Auf der Rückseite.“
    Sie war erstaunt wie ein Mondkalb.
    „Ja, und?“ fragte der Schaffner.
    Nitschls Gesicht nahm unter den Adern
ein schimmliges Grau an.
    „Ich vermute, daß der hier“, sagte Tim,
„die Fahrkarte gefunden hat und benutzt. Ob ich recht habe, wird sich gleich
zeigen.“
    Der Schaffner starrte Nitschl an und
wußte nicht, was er tun sollte.
    Nitschl rührte sich nicht. Das
Schimmelgrau wich einem Wutrot, was besser zu den blauen Adern paßte.
    „Dich... dich kenne ich doch, du
abgespitzte Ratte!“ lallte er Tim an. „Was soll der Scheiß? Wie kannst du das
behaupten! Wiesooooo? Hähhhhh?“
    „Wegen der Knete, die du jetzt übrig
hast. Eigentlich dürften es nur zwei Mark sein. Stimmt’s?“
    „Die... das... also, ich verstehe
nicht, was hier vorgeht“, stotterte der Schaffner. „Und mich geht’s auch nichts
an. Wenn der Herr einen gültigen Fahrausweis hat, ist für mich...“
    Er stockte, schien sich zu besinnen und
zwinkerte unter Tims zwingendem Blick.
    „Sie sind doch hier der Sheriff“, sagte
Tim. „Wollen Sie eine Fundunterschlagung mit 298-Mark-Nachteil für den
Betroffenen durchgehen lassen? Aus Bequemlichkeit? Dann müßte ich um Ihren
werten Namen bitten und bei der Bundesbahndirektion vorsprechen. Diesbezüglich.“
    „Nein, nein!“ murmelte der
Uniformierte. „Du hast recht.“ Er wandte sich an Nitschl. „Ihren Fahrausweis!“
    Nitschls Zähne mahlten. Das war die
einzige Bewegung. „Ihren Fahrausweis!“
    Das klang beinahe energisch.
    „Vielleicht hat er keinen.“ Tim zog die
Lippen breit. „Dann können wir ihm die Wahl lassen. Entweder Handschellen und
ins Klo gesperrt, oder wir werfen ihn aus dem fahrenden Zug.“
    Das war scherzhaft gemeint, aber bei
Nitschl brannten die Sicherungen durch. Der Alkohol enthemmte ihn. Ein
Schlägertyp war er sowieso. Und die letzte — leere — Bierflasche stand
griffbereit.
    Er sprang auf, packte sie. Der Schlag
sollte Tim am Kopf treffen. Die beiden Mädchen quiekten. Der Handelsreisende
blickte auf — und war interessiert. Vielleicht belieferte er Apotheken und Krankenhäuser
mit Verbandsstoff und Wundpflaster. Der Kellner riß die Augen auf; und Nitschl
flog über die Rückenlehne seines Sessels.
    Er räumte die Dekoration ( Ausschmückung )
vom nächsten Tisch ab — Decke, Gläser, Vase, Papierblumen — und landete im
Mittelgang, wo er mit dem Hinterkopf aufschlug.
    O weh! dachte Tim. Da glaubt wieder
keiner, daß Judo eine sanfte Kunst ist. Eigentlich.
    Aber Nitschls Schädel paßte zu seiner
Erscheinung: harte Schale und nichts drin.
    Der Kerl stand auf, schielte vor Tücke
und begann, in seinen Taschen zu wühlen.
    „Den... den... Fahrausweis!“ stotterte
der Schaffner.
    Nitschl suchte nicht den, sondern sein
Messer.
    Klick! — sprang die Klinge aus dem
Griff.
    „Laß den Unsinn!“ sagte Tim. „Sonst
mache ich dich so zur Schnecke, daß du hinterher wie ein normaler Mensch
aussiehst. Deine Mutter würde dich nicht wiedererkennen und deine Tussie vor
dir ausspucken.“

    Aber Nitschl stand unter Dampf. Er ließ
Giftschwaden durch die Zähne entweichen — hätte angegriffen und die schlimmen
Folgen tragen müssen. Doch dazu kam es nicht.
    Der Kellner war beherzt. Er stand
hinter Nitschl, wickelte eiligst eine Stoffserviette um eine gefüllte
Rotweinflasche und schlich auch schon heran.
    Wuchtig, aber nicht zu wuchtig klopfte
er Nitschl von hinten aufs Haupt. Dem Typ knickten die Knie ein. Das Messer
fiel auf den Teppich. Und Tim sprang hinzu. Er packte Nitschl und verhinderte
so, daß der Kerl sich beim zweiten Parterre-Gang verletzte.
    „Meine Damen und Herren“, ertönte in
diesem Moment eine Lautsprecherstimme, „in wenigen Minuten erreichen wir
Haffstedt. Sie haben dort Anschluß nach...“
    Für uns ist das Endstation, dachte Tim.
Erstmal. Denn dort müssen wir zur Bahnpolizei und diese leidige Sache mit dem
Schlägertyp erstmal klären.
    Er ließ Nitschl zu Boden gleiten.

3. Barbara steigt zu
     
    Der Arzt hatte den Stadtindianer
versorgt. Jetzt saß er auf einem harten Stuhl vor dem Schreibtisch des
Bahnpolizisten.
    Christine und Tim saßen auf den
gleichen
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