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Annas Erbe

Annas Erbe

Titel: Annas Erbe
Autoren: Horst Eckert
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Föhnfrisur und der Solariumsbräune sah er aus wie ein Gigolo, nicht wie ein Bulle. Warum Fendrich? Eine kurze Verunsicherung, Thann wischte sie weg. Er hielt die Maschinerie am Laufen, setzte seit dem Morgen seine Leute ein, hatte die Fäden in der Hand. Zusätzlich zum Weinbrand brachte das regelmäßige Kauen des Pfefferminzgummis Beruhigung in seine Nerven.
    »Am besten, der leitende Ermittler, Oberkommissar Thann, beginnt mit einem Bericht über den aktuellen Stand im Mordfall Deponie.«
    Thann fasste zusammen, was Rosenbaum ihm am Mittag erklärt hatte. Er ließ Fotos der Leichenteile herumreichen. Das Opfer wurde offenbar gefoltert, bevor es starb. Lediglich die Schnittwunden im Gesicht und die Parallele zum Friedrichstraßenmord von 1968 erwähnte er nicht. Dann breitete er einen Plan der Deponie und ihrer Umgebung auf dem Tisch aus und schilderte, wie zur Stunde sieben Beamte beschäftigt waren, systematisch die Umzäunung der Deponie nach Spuren abzusuchen und Nachbarn zu befragen. Eine Reihenhaussiedlung reichte bis etwa dreihundert Meter an die Deponie. Etwa vierzig Familien wohnten hier. Bis zum Abend erwartete Thann die Rückmeldung der Beamten.
    Die Überprüfung der Vermisstenmeldungen hatte noch nichts gebracht. Vier verschwundene Personen hatten Ähnlichkeit mit dem Toten, alle vier Meldungen stammten jedoch aus anderen Bundesländern und waren bis zu fünf Jahren alt. Thann hatte die Kollegen in den betreffenden Städten eingeschaltet. Wenig Hoffnung.
    Er zog eine Zeichnung hervor. »So muss der Tote ausgesehen haben. Wenn man sich all die Verletzungen wegdenkt, meine ich. Anfang bis Mitte fünfzig, blond, etwa 1,75 Meter groß, schlank. Ich schlage vor, dass wir die Zeichnung an die Presse geben mit der Bitte um Mitarbeit. Wenn irgendjemand den Toten erkennt, sind wir ein entscheidendes Stück weiter.«
    Thanns Vorschlag fand Zustimmung. Er war stolz auf seine Idee, den Polizeizeichner, beraten von Rosenbaum, die Gesichtszüge des Toten rekonstruieren zu lassen. Zwar hatte der Zeichner nur einzelne Merkmale zu einem Gesicht zusammengefügt, wie er es immer tat. Dennoch vermittelte das Bild den Eindruck, als hätte eine lebende Person dem Zeichner Modell gesessen. Es war ein waches Gesicht, die Züge ein wenig bitter. Das Gesicht eines Menschen, der Ziele hatte, aber nur wenige davon erreichte. Ein so bestialischer Fall ist mir noch nie begegnet.
    Der Letzte im Kreis gab die Zeichnung zurück.
    Thann startete einen zweiten Versuch, seinen Vorschlag vom Vormittag durchzubringen. »Ich neige zu der Ansicht, dass Fundort und Tatort nicht identisch sind. Möglicherweise haben der oder die Täter die Leichenteile, so makaber es klingt, einfach in die Mülltonne gesteckt. Es ist schade, dass das Präsidium nicht mehr Beamte aufbieten kann. Man sollte meiner Meinung nach alle Wohngebiete durchsuchen, deren Mülltonnen heute Morgen geleert wurden. Das kann uns zum Tatort führen. Wir sollten in den betreffenden Straßen die Bevölkerung fragen.«
    »Meine Herren, davon kann ich nur abraten«, meldete sich Bollmann zu Wort. »Wir müssen alles vermeiden, was die Öffentlichkeit in Unruhe versetzen könnte. Also: Keine Fotos von Leichenteilen an die Presse, kein Herumschnüffeln in Nachbars Müllbehälter.«
    »Ich würde sogar sagen, wir bestätigen nur, was die Presse ohnehin weiß«, ergänzte der Pressesprecher. »Die Details, besonders die grausigen Details, behalten wir besser für uns. Das Einzige, wovon wir uns einen Nutzen durch eine Presseveröffentlichung erhoffen können, sind Bild und Beschreibung des Toten.«
    »Und wehe, Thann, du wiederholst vor all den Pressefritzen dein Bedauern über unsere Personalnot. Das heißt dann in der Zeitung: Die Polizei hat es nicht im Griff, Banden und Verbrecher regieren die Stadt. Der Innenminister kastriert uns höchstpersönlich, wenn wir unser Image beschmutzen. Uns alle, wie wir hier sitzen.« Fendrich. Die Übrigen lachten, die Runde begann sich aufzulösen.
    Thann hasste Fendrich für seine Art, sich auf Kosten seiner Kollegen bei den Chefs beliebt zu machen. Die Männer schoben sich durch die Tür aus dem kleinen Besprechungsraum ins Konferenzzimmer.
     
    Die Pressevertreter verstummten, als die Polizisten eintraten und Platz nahmen. Rund ein Dutzend Mikrofone in der Mitte des Tisches, der die Barriere bildete zwischen den Hütern der Ordnung und den Vertretern der öffentlichen Sensationslust. Der Stellvertreter des Polizeisprechers verteilte Kopien
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