Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Annas Erbe

Annas Erbe

Titel: Annas Erbe
Autoren: Horst Eckert
Vom Netzwerk:
der Zeichnung. Eine junge Frau in engem Rollkragenpullover und mit großer Oberweite postierte ihr Aufnahmegerät auf den Tisch und trat zurück in den Hintergrund. Für einen Moment war es so still, dass Thann glaubte, den Motor des kleinen Rekorders hören zu können. Dann eröffnete der Pressesprecher die Sitzung.
    Die Kompetenzen waren klar verteilt. Der Sprecher des Präsidiums schilderte kurz den Mordfall, Kripochef Bollmann sprach einige Worte zur Organisation der Ermittlungen, und Thann als Leiter der Kommission erklärte die gegenwärtigen Ermittlungsschritte und wies auf die Zeichnung hin. Nervenkribbeln, Kloß im Hals.
    Die Neugier der Presse äußerte sich ebenfalls arbeitsteilig. Die leichten Fragen stellten die Schreiber der lokalen Medien. Sie waren in der Mehrzahl. Die heiklen Fragen stellte der Reporter einer überregionalen Zeitung. Thann bewunderte die Routine des Polizeisprechers, der es schaffte, bei jeder Antwort das Eingeständnis zu vermeiden, dass sie nichts wussten und kaum etwas tun konnten.
    Nur selten machte einer der Pressemenschen ein Foto. Die Zahnlücke Udo Korfmachers war nicht im Raum. Einer seiner BLITZ -Kollegen schien fürs freche Nachfragen zuständig. Er meldete sich als letzter Frager. »Stimmt es, dass das Opfer misshandelt und zerstückelt aufgefunden wurde?«
    Schwer gefoltert, bevor es starb.
    Der Präsidiumssprecher antwortete ausweichend.
    »Der etwa Fünfzigjährige, dessen Porträtzeichnung Ihnen vorliegt, wurde Opfer einer schweren Gewalttat, wie es Mord nun einmal leider ist. Die Spuren der Gewaltanwendung haben wir in der Zeichnung nicht berücksichtigt, denn es kommt uns in erster Linie darauf an, dass sich Leser Ihrer Zeitungen bei uns melden, die uns Hinweise auf die Tat geben können. Für die Veröffentlichung der Zeichnung möchte ich Ihnen jetzt schon danken.«
    Der Bursche vom BLITZ ließ nicht locker.
    »In wie viele Teile wurde das Opfer zerstückelt?«
    »Kein Kommentar. Und jetzt bitte ich Sie um Verständnis, dass wir die Pressekonferenz für heute beenden. Wir haben noch viel zu tun. Ich danke Ihnen.«
    Mit seiner Bewunderung über die souveräne Reaktion des Pressesprechers schien Thann allein dazustehen. Bollmann versprühte schlechteste Laune, als sie auseinandergingen.
    »Die Schlagzeile seh' ich schon vor mir. ›Leiche zerstückelt, Polizei ratlos‹. In großen Lettern über die ganze Titelseite!«
    Auch der Sprecher schien unzufrieden. Mürrisch sagte er: »Ich tu', was ich kann. Jetzt tun Sie bitte das Ihre.«
    Bollmann bohrte seinen Zeigefinger in Thanns Brust. »Morgen um halb eins erstatten Sie mir Bericht, Junior.«
    Diesmal klang es gar nicht väterlich.
     
     
    5.
     
    »Was wollen Sie eigentlich noch? Ich habe Ihnen doch heute Vormittag schon alles gesagt!«
    Zweiunddreißig Deponieangestellte hatten Thann und seine Kollegen bereits befragt. So viele hatten an diesem Morgen auf der Deponie gearbeitet.
    Es war die letzte Vernehmung an diesem Tag. Seit Stunden war es dunkel. Eine blanke Neonröhre und eine Schreibtischlampe Marke Ikea tauchten Thanns Büro in trostloses Licht. Er hatte Hunger und Magenschmerzen zugleich.
    Thann erklärte seinem Gegenüber die Bedeutung des Falls. Er log, die Polizei würde diesen Fall mit höchster Priorität und noch nie dagewesenem Einsatz verfolgen.
    »Aber ich habe doch schon alles erzählt!«
    Keiner der Arbeiter hatte sich bisher darüber beschwert, dass er sie ins Präsidium bestellt hatte. Thann spannte ein frisches Blatt in die Maschine und sah in seine Notizen.
    »Sie heißen Herbert Kaminski, sind 46 Jahre alt und arbeiten seit sieben Jahren bei A & F Entsorgungsdienst als Pförtner auf der Deponie.«
    »Ich weiß.« Kaminski rutschte auf dem Holzstuhl hin und her. Er trug wie am Vormittag einen himmelblauen Overall mit der Aufschrift »A & F«. Thann fragte sich, ob der Mann auch private Kleidung besaß. Wenigstens schien dieser Blaumann frisch zu sein. Thann roch nur den üblichen Polizeimief seines Zimmers. Und die Nervosität seines Gegenübers.
    »Was sind Ihre Dienstzeiten?«
    »Die Pförtner arbeiten in Schichten. Drei Tage von 22 bis 10 Uhr, dann vier Tage frei, dann drei Tage von 10 bis 22 Uhr.«
    Thann hackte in die Mechanik seiner Olympia. »Ich kann mir vorstellen, dass man während einer Nachtschicht schon mal etwas die Konzentration verliert oder einnickt, stimmt's?«
    »Und wenn schon. Wir haben ein zwei Meter hohes Tor und einen Zaun mit Stacheldraht rundherum. Da müsste schon
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher