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Amok: Thriller (German Edition)

Amok: Thriller (German Edition)

Titel: Amok: Thriller (German Edition)
Autoren: Tom Bale
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    Ein Blick nach links, mehr war nicht nötig. Ein flüchtiger Blick, als sie die Tür des Dorfladens aufdrückte. Hätte sie einfach nach vorne geschaut oder nach rechts anstatt nach links, dann wäre sie vielleicht gar nicht in die Sache hineingezogen worden. Sie wäre vielleicht verschont geblieben.
    Ihr Verstand, traumatisiert von den Erfahrungen des vergangenen Monats, weigerte sich zu glauben, was sie gesehen hatte. Doch ihr Unterbewusstsein hatte es sofort erfasst.
    Da lag ein toter Mann auf der Straße.
     
    Es war der dritte Samstag im Januar, kurz vor acht Uhr morgens. Sie hatte vor dem Haus ihrer Eltern am Ortsrand geparkt und beschlossen, die unerfreuliche Aufgabe, die an diesem Tag auf sie wartete, noch ein paar Minuten aufzuschieben. Bis zum Laden waren es nicht mehr als fünfzig Meter; er lag versteckt hinter einer Kurve am unteren Ende der High Street – ein lächerlicher Name für eine Straße in einem Dorf mit gerade einmal einem Geschäft und einem Pub.
    Julia war einunddreißig, groß und schlank, mit schulterlangen dunklen Haaren. Sie war Lehrerin an einer Grundschule in Newhaven, und wie die Besten ihrer Zunft hatte sie sich eine Haltung wohlwollender Härte zugelegt, mit der sie alles parieren konnte, was ein Zehnjähriger ihr an den Kopf schleudern mochte. Nie hatte sie diese Zähigkeit so nötig gehabt wie in den letzten paar Wochen.
    Ihr Atem stieg in kleinen Wölkchen auf, als sie am Rand der schmalen Straße entlangging. Eine makellose, glitzernde Reifschicht überzog den Grünstreifen. Die Dachziegel funkelten im Schein der Morgensonne, die hier in den Downlands erst spät über den Horizont stieg. Die Luft schmeckte sauber und würzig. Jetzt eine Runde joggen – das wär‘s, dachte sie. Aber sie konnte diesen Tag nun einmal nicht so verbringen, wie sie wollte.
    In weniger als einer Minute hatte sie den Laden erreicht. In dieser Zeit sah und hörte sie keine Menschenseele. Kein Verkehr, keine Handwerker, keine Spaziergänger oder Radfahrer. Aber es war schließlich Samstag, sagte sie sich. Es war Januar, und es war kalt.
    In dem Moment, als sie nach links schaute, hatte sie einen ungehinderten Blick die High Street entlang, bis zum Green Man , dem Pub am nördlichen Ende des Dorfes. Oben an der Kirche parkte ein roter Lieferwagen der Royal Mail am Straßenrand, mit der Front zu ihr. Beiläufig registrierte sie, dass die Hecktüren offen standen. Die Leiche – wenn es denn eine war – lag direkt hinter dem Postauto auf der Straße, sodass nur die Füße zu sehen waren.
    Julia sagte sich, dass sie sich wohl geirrt haben müsse, und betrat den Laden.
     
    Als sie die Tür aufstieß, läutete eine Glocke. Es war wunderbar warm im Laden, und der Geruch entlockte ihr wie immer ein Lächeln: eine heimelige Mischung aus frischen Brötchen, Frühstücksspeck, Druckerschwärze und Postsäcken. Ein Duft, den man am liebsten aus lauter Nostalgie in einer Flasche eingefangen hätte: Dorfladen-Essenz.
    Die Ladeninhaberin, Moira Beaumont, war eine kleine, hibbelige Frau in den Fünfzigern. Sie zog ihre ausgebeulte Strickjacke fester um die Schultern, als der kalte Luftzug von der Tür sie erreichte.
    »Hallo, Julia. Sie sind ja früh dran heute. Sagen Sie bloß, Sie haben im Haus übernachtet?«
    Julia überspielte den Schauder, der sie überlief, mit einem knappen Kopfschütteln. »Ich bin gerade erst angekommen«, sagte sie und fügte hinzu: »Ich kann es ja nicht ewig vor mir her schieben.«
    Moira nickte betrübt. »Sie wohnen in Lewes, nicht wahr?« Sie sprach den Namen der Stadt aus, als sei es irgendein ferner, exotischer Ort, dabei waren es von hier bis zum Verwaltungssitz von East Sussex keine zehn Meilen. Aber Chilton war schließlich auch ein Dorf, wo die Leute nach einem Besuch in Brighton empört von den Bettlern auf der Straße und der offenen Zurschaustellung von Homosexualität berichteten.
    Julia blätterte ein wenig in den Zeitungen. Dabei spürte sie, wie Moira sie heimlich musterte, wie sie versuchte, einen Riss in der Fassade zu entdecken. Vor ein paar Wochen hätte sie das noch gestört, aber inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt. Sie hatte das Gefühl, dass sie alles in allem ganz gut mit der Situation fertigwurde.
    Aber was ist mit der Leiche auf der Straße? , meldete sich ihr Unterbewusstsein. Halluzinationen waren nicht gerade ein Ausdruck einer stabilen Psyche.
    Sie schob den Gedanken beiseite, während sie sich einen Guardian , einen Karton fettarme Milch und
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