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Annas Erbe

Annas Erbe

Titel: Annas Erbe
Autoren: Horst Eckert
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erster Ansicht der Schnittstellen vermutlich durch eine Art Hacke. Das Gewebe ist zerrissen. Es finden sich zahlreiche Knochensplitter darin. Eine Säge beispielsweise hätte präzisere Kanten geformt.«
    Rosenbaum bewegte ein Leichenteil. Thann konzentrierte sich auf den Ringblock.
    »Ebenfalls post mortem wurden dem Opfer zahlreiche schwerste Quetschungen und Knochenbrüche zugefügt. Besser gesagt, den einzelnen Teilen. Stimmt es, dass eine Planierraupe über die Leiche gefahren ist?«
    »Ja.« Mach schon weiter, Doktor!
    Rosenbaum räusperte sich und verschränkte die Hände erneut im Kreuz. Ein Gockel in Weiß.
    »Dem ersten Anschein nach«, er räusperte sich noch einmal und wippte weiter auf den Zehenspitzen, »scheinen die Leichenteile mit Gewalt in einen oder mehrere Behälter gezwängt worden zu sein. Arme und Beine wurden in unnatürlicher Weise angewinkelt. Zudem sind Oberschenkelknochen und Rippen zum Teil mehrfach gebrochen. Dies kann beim Transport der Leichenteile geschehen sein wie auch später durch die Behandlung mit der Planierraupe im Bereich des Fundortes. Die Wunden sind zum Teil stark verunreinigt gewesen. Diesen Konservendeckel habe ich zu Demonstrationszwecken im Oberschenkel belassen.«
    Ein Sadist.
    Thann schrieb in seinen Block und sah nicht hin.
    »Kommen wir zu den Verletzungen, die dem Opfer vor dem Tod zugefügt wurden.«
    Rosenbaum setzte seinen Rundgang um die beiden weißen Tische fort. Diesmal sah Thann hin. Diese Augen.
    »Wie Sie sehen, erlitt das Opfer multiple Quetschungen und Prellungen im Gesichtsbereich. Einige der Hämatome sind fast vollständig ausgebildet. Zum größten Teil handelt es sich wahrscheinlich um Faustschläge und andere Schläge mit einem dumpfen Gegenstand. Ungewöhnlich sind diese Verletzungen: Parallele Risse oder Schnitte auf beiden Gesichtshälften. Ausgeführt mit einem Gegenstand mit zwei Klingen im Abstand von etwa einem Zentimeter.«
    Als Thann den Kopf zum ersten Mal gesehen hatte, waren ihm diese Verletzungen unter all dem Blut und Dreck nicht aufgefallen. Jetzt sah er es deutlich: Sechs Schnitte auf der linken Seite, zwei zogen sich über die rechte Wange, etwa acht bis zehn Zentimeter lang.
    »Die Tiefe dieser Schnitte beträgt etwa einen Zentimeter. Haut und Muskel wurden mehrfach durchtrennt.«
    Rosenbaum zog die Wunde mit Daumen und Zeigefinger auseinander. Langsam, aber sicher wurde Thann übel.
    »Ein Schlagring, vielleicht«, murmelte er.
    »Ein ganz spezieller, vielleicht«, erwiderte der Mediziner. »Wie Sie weiterhin sehen, erlitt das Opfer beträchtliche Quetschungen im Genitalbereich. Vermutlich durch Schläge oder Tritte.«
    Erneut fixierte er Thann über die Gläser seiner Brille hinweg. »Das Opfer wurde offenbar gefoltert, bevor es starb.«
    »Wie lange?«
    »Nach dem Blutaustritt ins Gewebe und den Schwellungen zu urteilen, wahrscheinlich mehr als eine Stunde.«
    »Verdammt«, entfuhr es Thann. Die Spitze seines Bleistifts war abgebrochen. »Hat sich das Opfer gewehrt? Spuren unter den Fingernägeln?«
    »Kaum. Nur einige Textilfasern. Befinden sich im Labor. Die Handgelenke weisen Scheuerspuren auf. Das Opfer scheint gefesselt worden zu sein.«
    »Magen- und Darminhalt? Irgendetwas Auffälliges?«
    »Der Magen enthielt Blut. Das Opfer aspirierte vor seinem Tod. Alles Weitere wird gerade im Labor untersucht.«
    Thann nahm sich vor, bei Gelegenheit einige medizinische Fachbegriffe nachzuschlagen. »Noch einmal zu den Schnittwunden, die Sie mir zeigten, Doktor. Haben Sie jemals eine Art Schlagring gesehen, die dafür infrage kommt?«
    Rosenbaum begann erneut zu wippen und zog eine seiner Augenbrauen in die Höhe. Er zögerte. »Nein, aber diese Art von Wunden habe ich schon einmal gesehen. Allerdings lässt es der gesunde Menschenverstand als unwahrscheinlich erscheinen, dass die beiden Fälle etwas miteinander zu tun haben.«
    Ein Schauer lief über Thanns Rücken. »Welcher Fall war das?«
    »Das muss jetzt etwa fünfundzwanzig Jahre her sein. Eine Frau, die von ihrem Liebhaber erschossen wurde. Kein Müll, keine Zerstückelung, schöne Leiche, klarer Fall. Man nannte den Fall nach seinem Tatort Friedrichstraßenmord. Die Leiche hatte ganz ähnliche Verletzungen. Aber, wie gesagt, lange her.«
    Der Friedrichstraßenmord. Thann konnte mit dem Begriff etwas anfangen. Er nahm sich vor, die Akte zu besorgen. Als er den weißen, nur durch wenige hässliche Fleischtöne verschmutzten Raum verließ, wünschte der Gerichtsmediziner ihm
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