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Annas Erbe

Annas Erbe

Titel: Annas Erbe
Autoren: Horst Eckert
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ein zweites Mal viel Glück.
     
    Noch nie war ihm sein Büro so eng erschienen. Gut zehn Quadratmeter, vollgestellt mit alten Möbeln: Schreibtisch, Beistelltisch für die Olympia, Regal, ein schmaler Spind und zwei Stühle, einer auf Rollen, einer aus Holz.
    Thann versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Er öffnete die Rollladenfront seiner rechten Schreibtischhälfte, zog einen leeren Aktenordner heraus und griff nach dem Glas und der Weinbrandflasche, die er dahinter verbarg. Er goss sich ein, einen Finger hoch. Gegen den Ekel. Der erste Schluck des Tages. Noch während das heiße Gold die Kehle hinunterrann, spürte er den Großteil seiner Anspannung weichen. Für einen Moment schloss Thann die Augen, dann versteckte er die Flasche und das Glas. Er verwischte die Spuren.
    Drei Tage hatte ihm Bollmann gegeben. Drei Tage, um zu zeigen, was er konnte. Zum ersten Mal in seiner Laufbahn witterte er eine Chance zu beweisen, dass er ein Kriminalbeamter mit Intelligenz und Spürsinn war. Andere machten ihre Karriere durch Sitzfleisch. Langsam, aber unaufhaltsam, alle fünf bis zehn Jahre einen Dienstgrad nach oben. Er wollte es durch Leistung schaffen. Und schneller.
    Freunde hatte er im Polizeipräsidium keine. Die Jüngeren neideten ihm, dass er einer der Letzten war, die ohne den Dienst bei der Bereitschaftspolizei direkt nach der Verwaltungshochschule in die gehobene Laufbahn eingestuft wurden. Die Älteren nahmen ihn nicht für voll. Einmal hatte Bollmann von ihm wissen wollen, warum er den Polizeidienst gewählt habe. Thann hatte etwas von »Verteidigung der demokratischen und freiheitlichen Werte« gesagt und sich gefragt, ob Bollmann diese Frage jedem stellte oder nur ihm, dem Außenseiter.
    Tatsächlich war er zur Polizei gegangen, weil er nach dem Abitur nicht wusste, was er studieren sollte. Die Fächer, die ihn interessiert hatten, verbot der Numerus clausus oder sie schienen als einzige Berufsperspektive den Job des Taxifahrers zu bieten. Als die Beamten vom Werbe- und Auswahldienst in der Abiturklasse auftraten, entsann sich Thann der Helden seiner Lieblingslektüre, der Cops im sonnigen Kalifornien, und wählte die Kombination aus kriminalistischer Spannung und sicherem Staatsdienst. Den Ausschlag für seine Entscheidung gab die Tatsache, dass er als Polizeianwärter keinen Militärdienst zu leisten brauchte. Nach vier Jahren im Kripo-Dienst war Thann klar geworden, wie weit sein Beruf von der Sonne Kaliforniens und dem Glanz der Helden seiner Jugend entfernt war. Krimis las er schon lange nicht mehr.
    Der Weinbrand hatte seinen Magen mit Wärme gefüllt. Thann war sicher, dass er nicht vom Alkohol abhängig war. Immer, wenn er fürchtete, die Kollegen könnten von seinem regelmäßigen Konsum erfahren, setzte er ihn ab, für Tage, ja manchmal sogar für Wochen. Entzugserscheinungen hatte er dabei noch nie erlebt. Seit er dieses Büro für sich alleine hatte, stand die Flasche im Schreibtisch, mal als tatkräftige Helferin, mal nur als platonische Freundin.
    Er griff ein zweites Mal zur Flasche. Ausnahmsweise. Einen Finger hoch, um den letzten Rest von Aufgeregtheit zu vertreiben. Er wollte cool sein, wenn er mit Schneider und Dalla, den beiden alten Hasen, zusammenarbeitete. Er wollte gelassen bleiben, nicht in Hektik geraten, auf keinen Fall unerfahren und lächerlich wirken. Er ärgerte sich über seinen Zusammenstoß mit dem Mann vom BLITZ, als er versucht hatte, den starken Mann zu spielen, und mit einer sinnlosen Überprüfung auf die Nase gefallen war.
    Bollmanns Warnung: Bewahren Sie kühlen Verstand.
    Bevor er sein Büro verließ, nahm er einen frischen Kaugummi, um seinen Schnapsatem zu verdecken. Die Sorte mit dem doppelten Pfefferminz-Effekt.
     
     
    4.
     
    »Ich habe Sie zu dieser Vorbesprechung eingeladen, da es wichtig ist, dass wir auf der anschließend stattfindenden Pressekonferenz die gleiche strategische Linie verfolgen, sozusagen mit einer Stimme sprechen. Der Polizeipräsident lässt sich entschuldigen. Er ist noch nicht so weit genesen, dass er den vollen Arbeitstag im Präsidium verbringen kann. Er hat mich gebeten, ihn zu vertreten.«
    Bollmanns Stahlaugen blitzten in die Runde, sein Lächeln wirkte auf Thann künstlich. Es war eine kleine Versammlung. Thann erkannte neben dem Kripochef den Pressesprecher des Präsidiums und dessen Stellvertreter. Der Leiter des K1 fehlte. Urlaubsvorbereitungen, gerade jetzt. Stattdessen saß Hauptkommissar Fendrich in der Runde. Mit seiner
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