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Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Titel: Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)
Autoren: Kendare Blake
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überwältigen?«
    »Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst«, antworte
ich und komme mir dabei etwas dämlich vor. »Hat ja super geklappt.«
    Sie streicht mir die Haare aus den Augen. Sie mag es nicht, wenn ich sie vor dem Gesicht hängen lasse. Schließlich macht sich eine Art besorgter Anspannung in ihrem Gesicht breit, und sie sieht mich genauer an.
    »Was ist?«
    »Deine Augen sind gelb.« Ich fürchte, sie fängt gleich wieder an zu weinen. In einem anderen Raum höre ich Morfran fluchen. »Das ist die Leber«, sagt meine Mutter leise. »Vielleicht auch deine Nieren. Sie versagen.«
    Na gut, das erklärt das matschige Gefühl in der Seite.
    Wir sind allein im Wohnzimmer. Alle anderen haben sich in ihre Ecken zurückgezogen. Ich glaube, inzwischen haben alle nachgedacht und sprechen vielleicht sogar ein paar Gebete. Thomas und Carmel knutschen hoffentlich in einem Wandschrank herum. Draußen blitzt es. Ich merke auf.
    »Ich dachte, um diese Jahreszeit gibt es keine Gewitter mehr.«
    Morfran steht in der Küchentür und antwortet von dort aus. »Das war kein normales Wetterleuchten. Ich glaube, unser Freund baut Energien auf.«
    »Wir sollten mit der Beschwörung beginnen«, schlägt meine Mom vor.
    »Ich suche Thomas.« Ich richte mich auf und gehe leise nach oben. Carmels Stimme dringt aus einem früheren Gästezimmer.
    »Ich weiß gar nicht, was ich hier soll«, sagt sie. Ihre
Stimme klingt ängstlich, aber auch ein wenig schnippisch.
    »Wie meinst du das?«, fragt Thomas.
    »Ach, hör doch auf. Ich bin die verdammte Ballkönigin. Cas ist so etwas wie Buffy die Vampirjägerin, und seine Mom und du und dein Opa seid alle Hexen oder Zauberer oder was auch immer, und Anna … Sie ist eben Anna. Aber was habe ich hier schon zu tun? Ich bin doch zu nichts zu gebrauchen.«
    »Hast du es schon vergessen?«, fragt Thomas. »Du bist die Stimme der Vernunft. Du denkst an die Dinge, die wir vergessen.«
    »Ja, und ich denke jetzt, ich werde bald umkommen. Ich mit meinem Aluminiumschläger.«
    »Das wirst du nicht. Nein, du wirst nicht umkommen. Dir wird nichts passieren, Carmel.«
    Die Stimmen werden leiser. Ich fühle mich wie ein perverser Spanner. Ich will sie nicht stören. Mom und Morfran können die Sprüche auch allein wirken. Soll Thomas seinen Augenblick mit ihr haben. Ich gehe leise wieder nach unten und hinaus auf die Veranda.
    Wie wird es sein, wenn das hier vorbei ist? Wird alles wieder normal werden? Wird Carmel ihre abenteuerliche Zeit mit uns irgendwann vergessen? Wird sie Thomas meiden und wieder die Schulkönigin sein? Das würde sie doch nicht tun, oder? Andererseits hat sie mich mit Buffy der Vampirjägerin verglichen. Im Moment halte ich nicht so viel von ihr.
    Als ich auf die Veranda trete, ziehe ich die Jacke enger um mich. Anna sitzt auf dem Geländer und hat
ein Bein angezogen. Sie beobachtet den Himmel, und wenn ein Blitz ihr Gesicht erhellt, sieht sie gleichermaßen ehrfürchtig und besorgt aus.
    »Ein seltsames Wetter«, bemerkt sie.
    »Morfran meint, es sei nicht nur das Wetter.«
    Das dachte ich mir schon, sagt ihre Miene.
    »Du siehst etwas besser aus.«
    »Danke.« Ich weiß nicht warum, aber auf einmal bin ich schüchtern. Dies ist wirklich nicht der richtige Augenblick dafür. Ich gehe zu ihr und lege den Arm um ihre Hüften.
    In ihrem Körper ist keine Wärme. Als ich die Nase in ihr dunkles Haar drücke, rieche ich nichts. Aber ich kann sie berühren und habe sie kennengelernt. Und tatsächlich kann sie das Gleiche über mich sagen.
    Ich fange den Geruch nach Gewürzen auf. Wir blicken hoch. Aus einem der oberen Schlafzimmerfenster weht duftender Rauch, der sich nicht im Wind auflöst, sondern ätherische Finger ausstreckt und etwas anlockt. Die Beschwörung hat begonnen.
    »Bist du bereit?«, frage ich.
    »Immer und nie«, antwortet sie leise. »Sagt man das nicht so?«
    »Ja«, erkläre ich ihrem Hals. »So sagt man das.«
     
    »Wo soll ich es tun?«
    »Es soll halbwegs nach einer tödlichen Verletzung aussehen.«
    »Wie wäre es mit der Innenseite des Handgelenks? Das ist aus gutem Grund ein Klassiker.«
    Anna sitzt mitten im Raum auf dem Boden. Vor meinen nicht mehr ganz zuverlässigen Augen verschwimmt die Innenseite ihres blassen Arms. Wir sind beide nervös, und die guten Ratschläge aus der oberen Etage machen es nicht besser.
    »Ich will dir nicht wehtun«, flüstere ich.
    »Das wirst du auch nicht. Nicht wirklich.«
    Es ist jetzt völlig dunkel, und das
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