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Ueber den Himmel hinaus - Roman

Ueber den Himmel hinaus - Roman

Titel: Ueber den Himmel hinaus - Roman
Autoren: Kimberley Freeman
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PROLOG
    Winter 2005
     
    Sie war aufgewühlt. Verständlicherweise. Schließlich hatte sie noch nie einen Mord geplant.
    Es hatte lange gedauert, bis sich das Chaos in ihrem Kopf gelichtet hatte und sie wieder klar denken konnte.
    Jetzt, nachdem sie ihre Schuldgefühle, ihre Angst, ihren Zorn niedergerungen hatte, war es an der Zeit, sich zu überlegen, wie sie vorgehen sollte. Es gab kein Zurück mehr.
    Die Morgensonne schmerzte in ihren müden Augen, schien auf die Rückenlehne des Sessels, machte jedes Staubkorn auf dem Fernseher sichtbar. Ihr Blick fiel unwillkürlich auf das Foto der drei jungen Frauen. Es zeigte sie selbst, ihr lächelndes Opfer sowie die Dritte im Bunde, ernst, als hätte sie eine Vorahnung gehabt. Sonne und Schnee hatten sämtliche Schatten ausradiert. Sie hatten einander die Arme um die Taille gelegt. Wir halten zusammen, komme was wolle. Wie oft hatten sie sich das geschworen. Sie dachte daran, wie viel letztendlich geschehen war, das sie entzweit hatte. Verrat, Erbitterung, Eifersucht und die ganz alltäglichen, unbeabsichtigten Gedankenlosigkeiten.
    Sie sank auf die Armlehne des Sessels, barg das Gesicht in den Händen. Sie brachte nicht den Mut auf, Gewalt anzuwenden, und zum Giftmischen fehlte ihr die nötige Konzentration. Vielleicht konnte sie es ja wie einen Unfall aussehen lassen …
    Als ihr schließlich die Lösung einfiel, erschien sie ihr bemerkenswert naheliegend. Dieses Jahr würde ihre alljährliche Zusammenkunft in Briggsby stattfinden. Sie gingen
alle gern oben an den Klippen entlang spazieren. Fünfundzwanzig Meter unter ihnen lagen Felsen, tobte das Meer. Ihr schwindelte, als würde der Boden unter ihren Füßen nachgeben. Sie krallte die Zehen fest in die Schuhe, um gegen das Gefühl anzukämpfen.
    Ein Sturz, ein tragisches Unglück, dann wäre es vollbracht, und sie würde zurückbleiben, allein.
    Allein , hallte es in ihren Ohren nach wie Glockengeläut auf einem fernen Hügel. Sie spürte ihre Einsamkeit, die Leere und Verzweiflung, die in letzter Zeit ihr Leben geprägt hatten. Sie konnte nicht mehr zurück. Der Mord war ihre einzige Möglichkeit, das Unrecht zu sühnen.
    Und so lenkte sie, ihrer gemeinsamen Herkunft, ihren gemeinsamen Träumen und Vergehen zum Trotz, ihre Gedanken auf das Undenkbare.

Teil Eins

KAPITEL 1
    Leningrad, 1976
     
    »Du bist keine Schönheit.«
    Sofi Tschernowa hielt ihr sieben Jahre altes Gesicht ganz nah an den fleckigen Badezimmerspiegel. Die Worte ihrer Mutter hatten sie nicht verletzen sollen, sondern waren lediglich eine Feststellung gewesen.
    »Du bist keine Schönheit, Sofi. Nicht wie deine Cousinen«, hatte Mama gesagt, als sie heute Morgen das Frühstücksgeschirr in der Gemeinschaftsküche abräumten. »Aber du hast Köpfchen, und das ist auch etwas wert. Wenn die beiden einmal in Schwierigkeiten geraten, werden sie auf deine Hilfe angewiesen sein.«
    Doch als sie nun im düsteren Badezimmer ihr Spiegelbild betrachtete, war das Kompliment über ihre Klugheit vergessen. Stattdessen zählte Sofi ihre Sommersprossen, studierte ihre breiten Nasenflügel, zeichnete mit dem Finger ihre Lippen nach. Selbst wenn sie lächelte, schienen ihre Mundwinkel nach unten zu zeigen. Nein, sie war nicht schön. Sie hatte sich bislang nie viele Gedanken darüber gemacht, doch heute Nachmittag hielt die Schönheit in Gestalt ihrer Cousinen Natalja und Lena Einzug in ihr Leben.
    Jemand klopfte ungeduldig an die Tür. »Willst du da drin übernachten?«
    Das war Papa. Er wirkte angespannt, seit vor einer Woche der Brief von seinem Bruder Viktor gekommen war, mit der Bitte, Natalja und Lena für drei Monate aufzunehmen. Mama und Papa redeten in ihrer Gegenwart nicht darüber, aber Sofi hatte einiges aufgeschnappt und sich dank ihrer raschen Auffassungsgabe alles zusammengereimt. Papa
konnte seinen Bruder nicht ausstehen. Die Mutter ihrer Cousinen war vor knapp sechs Jahren bei Lenas Geburt gestorben, und seither hatte Onkel Viktor seine Töchter nach und nach sämtlichen Verwandten und Bekannten im ganzen Land aufgehalst. Jetzt war Sofis Familie an der Reihe.
    Sofi hatte eigentlich nichts dagegen. Sie war ihren Cousinen bisher zweimal begegnet, bei Familienfeiern im Haus ihrer Großmutter in Ischewsk, auf denen so viele Menschen zusammengekommen waren, dass niemand und zugleich jeder der Anwesenden ihre wilden Spiele beaufsichtigt hatte. Sie waren, die sowjetische Hymne pfeifend, um eine vom Blitz getroffene, ausgebrannte Birke marschiert, hatten auf
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