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Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Titel: Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)
Autoren: Kendare Blake
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gibt keine Entspannung.
    Etwas Kühles berührt mich an der Wange. Weiche Finger wandern zu den Haaren an meinen Schläfen und schieben sie zurück. Dann spüre ich, wie sie ganz leicht über meinen Mund streicht. Als ich die Augen öffne, blicke ich ihr direkt in die Augen. Ich schließe sie wieder und küsse Anna.
    Als es vorbei ist – und es dauert eine ganze Weile, bis es vorbei ist –, lehnen wir uns ans Haus, die Stirnen
aneinandergelegt. Ich halte sie in den Armen, sie streichelt meine Schläfen.
    »Ich hätte nie gedacht, dass es noch dazu kommt«, flüstert sie.
    »Ich auch nicht. Ich dachte, ich würde dich töten.«
    Anna schneidet eine Grimasse. Sie glaubt, nichts habe sich verändert. Aber das stimmt nicht, alles ist anders. Alles hat sich verändert, seit ich in diese Stadt gekommen bin. Ich weiß jetzt, dass ich herkommen musste. In dem Moment, in dem ich ihre Geschichte gehört habe, waren die Verbindung und das Interesse da. Ich hatte ein Ziel.
    Ich fürchte mich nicht. Trotz der brennenden Augen und des Wesens, das mich verfolgt und mir mühelos die Milz herausreißen und zerquetschen könnte wie einen Ballon voller Wasser, habe ich keine Angst. Sie ist bei mir. Wir werden uns gegenseitig retten, und wir werden die anderen retten. Und dann werde ich sie überzeugen, dass sie bleiben muss. Bei mir.
    Drinnen ertönt ein leises Klappern. Anscheinend hat meine Mutter in der Küche etwas fallen lassen. Keine große Sache, aber Anna erschrickt und zieht sich von mir zurück. Ich recke mich und zucke zusammen. Anscheinend hat der Obeah-Mann die Arbeit an meiner Milz viel früher aufgenommen als gedacht. Wo sitzt die Milz überhaupt?
    »Cas«, ruft Anna. Sie kommt wieder zu mir, damit ich mich auf sie stützen kann.
    »Geh nicht weg«, sage ich.
    »Ich gehe nicht weg.«
    »Bleib so, für immer«, necke ich sie. Sie macht ein Gesicht, als wollte sie mich erwürgen. Sie küsst mich wieder, und ich lasse sie nicht mehr los. Sie windet sich, lacht und versucht trotzdem, ernst zu bleiben.
    »Wir müssen uns auf den Abend konzentrieren«, sagt sie.
    Auf den Abend konzentrieren. Aber die Tatsache, dass sie mich wieder geküsst hat, spricht eine deutlichere Sprache.
     
    Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Ich liege auf dem Staubschutz, der die Couch bedeckt, und halte mir eine lauwarme Flasche Dasani auf die Stirn. Die Augen habe ich geschlossen. Im Dunkeln ist meine Welt viel angenehmer.
    Morfran hat es mit einer weiteren Reinigung oder einer Abwehr versucht, aber es hat lange nicht so gut funktioniert wie beim ersten Mal. Er hat Gesänge gemurmelt und Feuerstein angeschlagen, ein nettes kleines Feuerwerk veranstaltet und mir das Gesicht und die Brust mit etwas Schwarzem eingerieben, das nach Asche ausgesehen und wie Schwefel gerochen hat. Das Stechen in der Seite ist danach abgeklungen und hat aufgehört, sich in den Brustkorb vorzutasten. Die Kopfschmerzen sind auf ein dumpfes Pochen reduziert, das aber immer noch total nervig ist. Morfran war anscheinend sehr besorgt, und das Ergebnis hat ihn enttäuscht. Seiner Ansicht nach hätte es mit frischem Hühnerblut besser funktioniert. Obwohl ich angeschlagen bin, freue ich mich, dass er kein
lebendes Huhn in die Finger bekommen hat. Das wäre eine schöne Sauerei geworden.
    Mir fällt ein, was der Obeah-Mann gesagt hat: Mir würde der Verstand zu den Ohren hinausbluten oder so. Hoffentlich war das nicht wörtlich gemeint.
    Meine Mom sitzt neben meinen Füßen auf dem Sofa. Sie hat mir die Hand auf das Schienbein gelegt und reibt es abwesend. Sie will immer noch am liebsten weglaufen. Ihr Mutterinstinkt sagt ihr, sie solle mich unter den Arm klemmen wie ein Kleinkind und abhauen. Aber sie ist nicht irgendeine Mom. Sie ist meine Mom. Also bleibt sie sitzen und macht sich bereit, an meiner Seite zu kämpfen.
    »Es tut mir leid wegen deiner Katze«, sage ich.
    »Er war unsere Katze«, erwidert sie. »Mir tut es auch leid.«
    »Er wollte uns warnen«, fahre ich fort. »Ich hätte auf das kleine Fellknäuel hören sollen.« Ich stelle die Wasserflasche weg. »Es tut mir wirklich leid, Mom. Ich werde ihn vermissen.«
    Sie nickt.
    »Ich will, dass du nach oben gehst, ehe es beginnt«, sage ich. Sie nickt wieder. Sie weiß, dass ich mich nicht konzentrieren kann, wenn ich mir ihretwegen Sorgen mache.
    »Warum hast du mir nicht gesagt, dass du ihn all die Jahre gesucht hast?«, will sie jetzt wissen. »Und dass du die ganze Zeit geplant hast, ihn zu
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