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Höllenschlund

Höllenschlund

Titel: Höllenschlund
Autoren: Clive Cussler , Paul Kemprecos
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Prolog
    In einem fernen Land, 900 v. Chr.
    Im perlweißen Licht der Dämmerung tauchte das Seeungeheuer aus dem Morgennebel auf. Der schwere Kopf mit der langen Schnauze und den geblähten Nüstern steuerte genau dort das Ufer an, wo der Jäger kniete, die straffe Bogensehne an der Wange, die Augen auf einen Hirsch gerichtet, der im Marschland graste. Als das Geräusch schwappender Wellen ans Ohr des Jägers drang, blickte er sich zum Wasser um. Er stieß einen erstickten Schrei aus, warf den Bogen fort und sprang auf. Der Hirsch verschwand erschrocken im Wald, dicht gefolgt von dem verängstigten Jäger.
    Die Nebelschwaden teilten sich und offenbarten ein riesiges Segelschiff. Vorhänge aus Tang säumten den zweihundert Fuß langen Rumpf aus rötlich-braunem Holz. Ein Mann stand auf dem hochgezogenen Vordersteven des Schiffes hinter der geschnitzten Galionsfigur eines schnaubenden Hengstes. Er hatte gerade in eine kleine Holzschachtel geblickt. Als die geisterhafte Küste aus dem Nebel auftauchte, hob der Mann den Kopf und zeigte zur linken Seite.
    Die Steuermänner am Doppelruder brachten das Schiff in anmutigem Bogen auf einen neuen Kurs, der parallel zur dicht bewaldeten Küste verlief. Geschickt trimmten Deckshelfer das Segel mit den senkrechten rot-weißen Streifen, um die Kursänderung auszugleichen.
    Der Kapitän war erst Mitte zwanzig, aber der ernste Ausdruck seines ebenmäßiges Gesichts ließ ihn einige Jahre älter erscheinen. Seine kräftige Nase wirkte leicht gebogen. Der dichte schwarze Bart war in Stufen geschnitten und umrahmte einen vollen Mund und ein kantiges Kinn. Die Sonne und das Meer hatten seiner Haut eine mahagonifarbene Bräunung verliehen. Die unergründlichen Augen, mit denen er die Küste absuchte, waren von einem so dunklen Braun, dass man die Pupillen darin kaum erkennen konnte.
    Die hohe Stellung des Kapitäns berechtigte ihn, ein purpurnes Gewand zu tragen, das mit dem kostbaren Extrakt der Murex-Schnecke gefärbt war. Doch er zog es vor, die Brust nicht zu verhüllen und den Baumwollkilt eines gewöhnlichen Besatzungsmitglieds zu tragen. Eine weiche, kegelförmige Mütze bedeckte das kurze, gewellte Haar.
    Der Salzgeruch des Meeres hatte sich verflüchtigt, als das Schiff vom offenen Ozean in die breite Bucht eingefahren war. Der Kapitän sog die Lungen mit dem Duft von Blumen und grünen Gewächsen voll. Er freute sich über die Aussicht auf frisches Süßwasser und sehnte sich danach, seinen Fuß auf trockenes Land setzen zu können.
    Es war eine lange Reise gewesen, doch dank der handverlesenen phönizischen Besatzung, die ausschließlich aus erfahrenen Seemännern bestand, war sie recht gut verlaufen. Außerdem waren an Bord ein paar Ägypter und Libyer sowie Männer aus anderen Ländern, die am Mittelmeer lagen. Ein Trupp skythischer Soldaten war für die Sicherheit verantwortlich.
    Die Phönizier waren die besten Seefahrer der Welt, abenteuerlustige Entdecker und Händler, deren maritimes Imperium das Mittelmeer umschloss und sich über die Säulen des Herakles hinaus und bis ins Rote Meer erstreckte. Im Gegensatz zu den Griechen und Ägyptern, deren Schiffe an den Küsten entlangkrochen und die vor Anker gingen, wenn es dunkel wurde, segelten die furchtlosen Phönizier bei Tag und Nacht und außerhalb der Sichtweite des Landes. Mit einem kräftigen Wind von achtern konnten ihre großen Handelsschiffe mehr als hundert Seemeilen pro Tag zurücklegen.
    Der Kapitän war kein geborener Phönizier, aber in der Kunst der Seefahrt äußerst kundig. Mit seinen Navigationskenntnissen und seinem sicheren Urteilsvermögen bei schlechten Wetterverhältnissen hatte er den Respekt der Besatzung schnell gewonnen.
    Das Gefährt unter seinem Kommando war ein »Schiff von Tarschisch«, das für längere Handelsreisen über das Meer konstruiert worden war. Anders als die rundlicheren Schiffe für Kurzstrecken wurde es von langen und geraden Linien bestimmt. Das Deck und der Rumpf bestanden aus dem widerstandsfähigen Holz der Libanonzeder, und der dicke Mast war niedrig und äußerst stabil. Das quadratische Segel aus ägyptischem Leinen hatte man zur Verstärkung mit Lederriemen abgesteppt. Es handelte sich um die leistungsfähigste Takelage der Hochseeschifffahrt, die es überhaupt gab. Der gebogene Kiel mit hochgezogenen Vorder- und Achtersteven nahm die Wikingerschiffe vorweg, die erst Jahrhunderte später gebaut werden sollten.
    Das Geheimnis der phönizischen Herrschaft über das Meer
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