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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen
Autoren: Arthur Schnitzler
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Es hört sich an wie ein Märchen ... Ein Knabe saß beim Fenster eines Landhauses und blickte nur ab und zu in den Wald hinunter, der gleich an die Villa grenzte und so still dalag, als regte sich kein Zweig in seinem ganzen Bereiche. Es war ein schläfriger Sommernachmittag, und die tiefblaue Luft lag schwer und heiß über der Erde. – Der Knabe hatte vor sich auf dem Fensterbrett ein Notenblatt liegen, auf welches er musikalische Zeichen, wie sie ihm eben einfielen, planlos eintrug. Ganz mechanisch, während er an alles mögliche dachte, zeichnete er vielerlei Notenköpfe auf das Papier und versah sie in einer Art von kindischem Eifer mit Taktzeichen, Kreuzen, bis eine ganze Zeile ausgefüllt war, worauf er seine Spielerei mit befriedigtem Lächeln überblickte. Er hatte keine Ahnung, was nun eigentlich auf dem Blatte stand. Die Schwüle, welche zum offenen Fenster hereingezogen kam, machte ihn müde, er legte den Bleistift aus der Hand und schaute nur so vor sich hin, mit offenen Augen träumend. Es kam ein leiser, ganz leiser Wind ... der wehte das Notenblatt hinaus, und ohne Bedauern sah ihm der Knabe nach ... wie es sich zuerst in den Ästen verfing und dann langsam auf den schmalen Waldweg herunterglitt, an dessen Saume es liegen blieb. Der Junge kümmerte sich nicht weiter darum und ging nach kurzer Zeit auf sein Zimmer, setzte sich an Klavier und übte Skalen. –
    Ein junger Mensch, dessen Äußeres auch einem flüchtigen Beobachter den angehenden Künstler oder mindestens den Kunstenthusiasten zu erkennen gab, schritt bald darauf, irgendein Lied vor sich hinträllernd, über jenen Waldweg der Hauptstraße zu, als sein Auge auf dem Blatt Papier haften blieb, welches der Wind hergeweht hatte und das nun seine beschriebene Seite dem Jüngling zukehrte. Dieser hob es behend vom Boden auf und betrachtete es neugierig. »Ei, sieh doch!« scherzte er vor sich hin – »also nicht einmal in diesem stadtfernen Wäldchen bin ich der einzige Komponist! – Nun, rechte Kratzefüße das, die mein unbekannter Kollege im Schatten dieser Bäume hergemalt!« Er versuchte nun sich zurechtzufinden und summte allmählich, stückweise sozusagen, die Melodie vor sich hin, die er langsam aus dem Exerzitienblättchen enträtselte. »Nicht übel, wahrhaftig! – Ja, zweifellos – in diesen Noten da steckt etwas! Wer so etwas wegwerfen kann, der muß wohl den Kopf noch voll von ganz andern Ideen haben – bei Gott, ich ließe so etwas nicht im Walde liegen, wenn es mir überhaupt einfiele.« – Dabei begann er nochmals, nun im Zusammenhang, die Melodie, welche der Knabe so ahnungslos auf das Blatt gezeichnet, vor sich hinzusingen – schüttelte den Kopf und sagte: »Innig, sehr innig, etwas für die Weiber, etwas für Ännchen!« –
    Und er eilte zu seinem Mädchen, eilte zu Ännchen. Das war nun ein ganz reizendes, süßes Kind und ihrer Mutter, einer armen Witwe, einzige Freude und Seligkeit. Die helle Unschuld sprach aus den Zügen ihres Antlitzes, und der junge Künstler liebte sie mit einem Feuer, mit einer Leidenschaftlichkeit, deren eigentliches tieferes Wesen dem keuschen Sinn des jungen Mädchens noch gar nicht aufgegangen war. Nun trat er zu ihr ins Zimmer. Sie war allein, die Mutter bei einer Verwandten. Der Geliebte setzte sich nach einer flüchtigen, beinahe hastigen Begrüßung zum Flügel und hob an auf den Tasten zu phantasieren. Sie setzte sich zu ihm, blickte ihm still mit holder, ruhiger Freundlichkeit ins Auge und lauschte seinem Spiel. Nach einigen Tönen und Akkorden aber änderte sich der Ausdruck ihres Gesichtes. Sie hörte gespannter und aufmerksamer zu. Auf ihren blassen Wangen stieg eine leise Röte auf – ihr Auge, eben noch klar und ernst, erschien in einem sonderbaren feuchten Glanz. – Eine heftige Bewegung gab sich in ihren Mienen kund. Sie sah aus, als wäre sie mächtig ergriffen, als hätte sie etwas unendlich tief berührt. »Welch eine Melodie!« flüsterte sie. Der junge Künstler improvisierte weiter, immer über jenes Thema, welches ein lächerlicher Zufall ihm im Walde zugetragen. Seine Finger zauberten eine prächtige Fülle von Variationen aus den Tasten hervor, und aus allen tönte jene
eine
wundersame Melodie, die immer herzlicher, immer schöner erklang, je öfter sie gebracht wurde! – Welch eine Melodie! Nur ein Genius hat solche Gedanken! Ein Genius nur kann durch ein kurzes einfaches Motiv so außerordentlich wirken, daß der Zuhörer wie weltentrückt in der höchsten,
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