Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rendezvous um Mitternacht

Rendezvous um Mitternacht

Titel: Rendezvous um Mitternacht
Autoren: Victoria Laurie
Vom Netzwerk:
 
1
     
     
    »Guten Morgen, Miss Holliday«, begrüßte mich die Immobilienmaklerin erfreut vor dem Haus Dartmouth Street Nr. 84.
    Ich schüttelte ihr die Hand. »Hi. Sie müssen Cassandra sein. Bitte nennen Sie mich doch M.J.«
    »Sie sind jünger und hübscher, als ich gedacht hätte«, bemerkte sie und zupfte nervös an ihrer Perlenkette.
    »Danke«, sagte ich und beeilte mich, zum Geschäftlichen überzugehen. »Sie haben mir zwar am Telefon schon ein bisschen erzählt, aber ich würde doch gern noch mal alles hören, was Sie über dieses Haus wissen.«
    Cassandra verlor ein wenig Farbe und blickte an dem dreistöckigen Sandsteinbau hinauf, einem Juwel aus der Zeit um die Jahrhundertwende, das sich perfekt in das Gesamtbild von Bostons Prachtviertel Back Bay einfügte. »Ich habe es schon fast ein Jahr lang in Auftrag. Sie können sich vorstellen, dass das hier in der Back Bay eigentlich nie vorkommt. Ein historisches Stadthaus dieser Art verkauft sich normalerweise innerhalb von Wochen, nicht Monaten.«
    »Liegt’s vielleicht - am Preis?«
    »Nein, auf keinen Fall. Für eine Million ist das ein absolutes Schnäppchen! Und wir hatten auch schon eine Menge Interessenten, trotz der Geschichte des Hauses. Aber jedes Mal, wenn wir kurz vorm Vertragsabschluss stehen, macht der Käufer plötzlich einen Rückzieher. Und alle sagen das Gleiche: Das Haus habe einfach eine schlechte Ausstrahlung.«
    »Es wurde jemand darin umgebracht, sagten Sie?«
    Cassandra nickte. »Ja, die Tochter der derzeitigen Eigentümer wurde hier vor etwas über einem Jahr vergewaltigt und ermordet.«
    »Wie furchtbar.« Ich warf einen Blick über die Schulter auf das Gebäude. »Wurde der Mörder gefasst?«
    »Er wurde beim Versuch, durch den Hinterausgang zu entkommen, von der Polizei erschossen. Leider kam für die junge Frau jede Rettung zu spät.«
    »Also sind eigentlich zwei Leute in dem Haus gestorben.«
    »Ja, sieht wohl so aus.«
    »Und was ist seither passiert?«
    »Na ja«, sagte sie und fing wieder an, mit ihrer Kette zu spielen. »Jedes Mal, wenn ich jemandem das Haus zeige, fühle ich mich irgendwie beobachtet. Manchmal fühle ich mich sogar verfolgt. Und viele Leute kommen rein und machen den Eindruck, als würden sie am liebsten gleich wieder gehen. Die meisten schauen sich nur ein, zwei Zimmer an, dann ergreifen sie mehr oder weniger die Flucht.«
    »Verstehe.« Aber ich hatte das Gefühl, dass da noch mehr war. »Ist das alles?«
    Sie schwieg einen Moment. »Nein«, sagte sie dann. »Vor ein paar Tagen habe ich es einem Ehepaar gezeigt, das sich an der Geschichte wirklich nicht zu stören schien. Sie sagten, für den Preis nähmen sie das gerne in Kauf. Aber als wir schon gehen wollten, hörten wir alle drei aus einem der Schlafzimmer im Obergeschoss den Schrei einer Frau. Ich dachte, jemand habe sich hereingeschlichen, während ich die Kunden herumgeführt hatte, also rannte ich nach oben und sah überall nach, aber es war niemand da. Und dann, schon wieder auf dem Weg nach unten, spürte ich plötzlich …« Sie verstummte.
    »Was?«
    »Ich spürte, wie mich jemand berührte.«
    »So was wie eine Hand auf der Schulter?«
    »Nein«, flüsterte sie mit schreckgeweiteten Augen. »Auf unanständige Weise.«
    »Aha.« Ich nickte. Jetzt wusste ich, wer der Unruhestifter war. »Okay, wenn Sie mir aufschließen, mache ich mich an die Arbeit.«
    »Können Sie uns wirklich helfen, M. J.?«
    »Das ist mein Job, Cassandra. Ich bin Geisterjägerin. Geben Sie mir ein paar Stunden Zeit, dann schaue ich, was ich tun kann.«
    Cassandra folgte mir die sechs Stufen zur Eingangstür hinauf und öffnete sie für mich. »Kommen Sie da drin allein zurecht?«, fragte sie, plötzlich voller Sorge.
    »Kein Problem«, sagte ich zuversichtlich. Dahatte ich es schon mit furchteinflößenderen Dingen zu tun gehabt. Ich wartete, bis die Tür hinter mir ins Schloss gefallen war, dann trat ich ins Foyer, stellte meinen Matchsack in die Ecke neben der Treppe und sah mich um. Erst wollte ich mir einen Gesamteindruck verschaffen, ehe ich in die Trickkiste griff.
    Ich ließ den Blick durch den Raum schweifen, um ein Gefühl für die Aufteilung des Hauses zu bekommen. Von dem Foyer führten mehrere Türen und Durchgänge in die übrigen Zimmer. Rechts von mir ging der Flur zur Küche ab. Geradeaus lag das Wohnzimmer und ganz links etwas, was wie ein Arbeitszimmer aussah. Ich holte mein Elektrofeldmeter aus der hinteren Hosentasche, um Spannungsdifferenzen der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher