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Rendezvous um Mitternacht

Rendezvous um Mitternacht

Titel: Rendezvous um Mitternacht
Autoren: Victoria Laurie
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Stadt Boston zuzuwenden, wo Gilley ein Vollstipendium für das Massachusetts Institute of Technology bekommen hatte. Meine Perspektiven waren nicht ganz so glänzend.
    Wir zogen zusammen in eine winzige Wohnung in der Cambridge Street. Während Gilley Informatik studierte, schlug ich mich als Kellnerin und mit anderen Gelegenheitsarbeiten durch. Dann, eines schicksalhaften Abends, kam Gilley nach Hause und verkündete: »Ich hab ein Engagement für dich.«
    »Ein Engagement? Wofür?«, fragte ich.
    »Da ist so ein Mädel in meinem HTM L-Seminar. Ihr Vater ist gerade gestorben, und sie kann sich nicht aufs Studium konzentrieren. In drei Tagen haben wir Klausuren, und sie muss mir unbedingt da durchhelfen. Ich hab ihr gesagt, du könntest ihr bestätigen, dass es ihrem Dad gut geht. Sie kommt in einer Stunde vorbei.«
    Schon als kleines Mädchen hatte ich mich mit Leuten unterhalten können, die nicht mehr am Leben waren. Anfangs nannte ich sie Gespenster, weil die meisten eben meiner kindlichen Vorstellung von einem Gespenst entsprachen. Ein paar erkannte ich allerdings, zum Beispiel meinen Großvater und meine Tante Carol. Gilley wusste von meiner Begabung und hat nie auch nur mit der Wimper gezuckt, wenn ich ihm Sachen erzählte wie: »Heute in der U-Bahn hat mir der tote Mann von so ’ner Frau erzählt, dass er schon immer den Verdacht hatte, dass sie eigentlich lesbisch ist. Jetzt weiß er’s sicher.«
    Und so wütend ich war, weil Gilley einfach ungefragt über mich verfügte – als das Mädchen kam, war mir klar, dass ich ihr helfen musste. Ich nahm Verbindung zu ihrem Vater, ihren beiden Großeltern und einer Freundin von ihr auf, die bei einem Autounfall gestorben war. Als sich das Mädchen zutiefst dankbar verabschiedete, wollte sie wissen, wie viel ich dafür verlange.
    Also, ich bin wirklich nicht blöd, aber mir wäre nie in den Sinn gekommen, für so etwas Geld zu nehmen. Ich glaube, ich nannte irgendeine lächerliche Summe, zwanzig Dollar oder so. Nach dieser Sitzung bekam ich sechs Anrufe von Leuten, die völlig wild darauf waren, etwas von ihren verstorbenen Verwandten zu erfahren.
    Dann ging die Sache richtig los – als Gilley seinen Abschluss machte, blühte mein Geschäft bereits, und er war so nett, sich neben gelegentlichen Informatikjobs hauptsächlich um die Organisation meiner Termine zu kümmern. Die große Wende kam mit dein ungewöhnlichen Auftrag einer Frau, die Angst hatte, sich in ihrer eigenen Wohnung aufzuhalten. Ein Mitbewohner von ihr hatte sich dort erhängt, und seither gab es ständig unheimliche Vorfälle. Das war meine erste Geisteraustreibung, und ich war so berauscht davon, dass ich die Seancen sofort sein ließ und mich Hals über Kopf in die Geisterjagd stürzte. Und dabei ist es bis heute geblieben.
    Mein Handy klingelte und schreckte mich aus meinen Gedanken auf. »Holliday«, sagte ich und setzte Doc vom Lenkrad auf meine Schulter.
    »Wo bist du?«, fragte Gilley vorwurfsvoll.
    »Ich bin unterwegs, Gil. Mach dich nicht verrückt.«
    »M.J.«, fing er an (Gilley liebt Strafpredigten), »in knapp zwanzig Minuten hast du einen Termin!«
    »Und ich bin in einer Viertelstunde da, mein Guter. He, außerdem solltest du stolz auf mich sein. Für den Kettleman-Fall hab ich schon kassiert.«
    »Das war das Haus in der Back Bay?«
    »Ja. Und bevor du jetzt damit kommst, wie recht du hattest, lass mich dir einfach zu deinem guten Riecher gratulieren.«
    »Ich hab’s dir ja gesagt.« Das klang äußerst selbstzufrieden. Es war Gilleys Idee gewesen, es mal mit Werbung in der Immobilienbranche zu versuchen. Er war schon seit ein paar Wochen dabei, sich bei Maklern um Aufträge zu bemühen.
    Ich kicherte. »Du kannst einfach nicht anders, als es mir unter die Nase zu reiben, was?«
    »Tja, so bin ich halt. Okay, weiter zum nächsten Fall. Ich bin jetzt exklusiv über diesen Dr. Sable informiert.«
    »Schon wieder Cyberspionage?«
    »Wenn die Infos schon existieren, warum soll ich sie mir dann nicht anschauen? Jedenfalls ist der Kerl ein ganz schön dicker Fisch, das steht fest. Dr. Steven Sable ist der Sohn von Andrew Jackson Sable …«
    Ich erinnerte mich an einen Zeitungsartikel, den ich vor ein paar Wochen gelesen hatte. »Diesem stinkreichen Großreeder, der sich selbst ins Jenseits befördert hat?«
    »Genau der«, bestätigte Gilley triumphierend. »Was der für Verbindungen hat! M. J., wenn wir die Sache richtig schaukeln, könnten wir ausgesorgt haben. Vielleicht sind wir
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