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Rendezvous um Mitternacht

Rendezvous um Mitternacht

Titel: Rendezvous um Mitternacht
Autoren: Victoria Laurie
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war, das Gilley vor drei Tagen mit Dr. Sable geführt hatte. Sable wollte gern mit Andrews Geist sprechen, der angeblich die Jagdhütte der Familie im Hinterland von Massachusetts heimsuchte.
    Ich hatte es knapp geschafft, die Notizen durchzulesen, als die Tür sich wieder öffnete und Gilley eintrat. Mit breitem Grinsen und ausladender Geste sagte er: »M. J. Holliday, das ist Dr. Steven Sable.«
    Während ich aufstand und um den Tisch herumging, trat ein hochgewachsener, breitschultriger Mann mit schwarzem Haar und dunkelbraunen Augen durch die Tür. Mit dem Mann aus dem Zeitungsartikel hatte er so gut wie keine Ähnlichkeit – er war viel jünger und hatte einen unverkennbar exotischen Einschlag. Ich streckte ihm die Hand hin. »Hallo, Dr. Sable. Entschuldigen Sie vielmals, ich dachte, Sie wären viel älter.« Ich warf Gilley einen fragenden Blick zu.
    Der schielte in die Akte und erklärte dann rasch: »Dr. Steven Sable junior.«
    »Ah.« Ich nickte und bedeutete Dr. Sable, sich zu setzen. Während er Platz nahm, sagte er: »Danke, dass Sie mich empfangen, Miss Holliday.« Sein tiefer Bariton hatte einen Akzent, den ich nicht so recht einordnen konnte.
    Gilley entschuldigte sich und zwinkerte mir noch einmal zu, während er die Tür schloss. Ich widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen, weil ich deutlich sah, wie seine Füße vor dem Spalt unter der Tür stehen blieben. Mein Partner fand nichts dabei zu lauschen.
    »Bitte nennen Sie mich M. J., Dr. Sable«, bat ich.
    »Dann nennen Sie mich bitte Steven«, erwiderte er ungezwungen, mit dem Hauch eines Lächelns, das sein gutes Aussehen noch betonte.
    Oh Mann, dachte ich. Einen so attraktiven Klienten kann ich überhaupt nicht brauchen … »Nun, erzählen Sie mir doch, was Sie hierher führt«, bat ich ohne Umschweife.
    »Möglicherweise brauche ich Ihre Hilfe. Mein Großvater ist verstorben, und ich würde Sie gerne beauftragen, mit ihm zu sprechen und die Wahrheit darüber herauszufinden, was vor seinem Tod geschah.«
    Während ich ihm zuhörte, konnte ich nicht anders als mich ganz in seine Stimme und diesen ungewöhnlichen Akzent zu vertiefen. Er klang leicht europäisch und zugleich südamerikanisch, und seine Stimme war so seidenweich, als ließe er ein Stück Schokolade hinten auf der Zunge zergehen. Er sprach in gemessenem Tonfall, als müsse er sich alles erst im Stillen übersetzen.
    »Mein aufrichtiges Beileid. Ich habe gehört, dass der Tod Ihres Großvaters als Suizid gilt.«
    Stevens Züge spannten sich. »Zu Unrecht!«
    »Ich verstehe.« Ich betrachtete ihn genau. »Warum glauben Sie, dass es kein Selbstmord war?«
    »Seine … wie sagt man das, die Frau, die das Haus macht?«
    »Seine Haushälterin?«
    »Ja, genau. Sie sagte, mein Großvater habe an dem Morgen, als er starb, Haferflocken gegessen.«
    Man sollte ja meinen, ich hätte bei meinem Job schon eine Menge gehört. Aber ich gebe zu, ich musste mich zusammennehmen, um meine Verblüffung nicht zu zeigen. »Wie bitte?«, hakte ich nach, als keine weitere Erklärung kam.
    »Am Abend vor seinem Tod hat mein Großvater mich angerufen und erzählt, dass er bei seinem Arzt war und der sagte, dass sein Cholesterinspiegel erhöht sei.«
    »Aha.«
    »Mein Großvater hat nicht gern Tabletten genommen, also hat er mich gefragt, ob ich ihm einen Rat geben könne. Ich habe ihm gesagt, er solle die Ernährung umwerfen und Haferflocken statt Rührei mit Speck zum Frühstück essen.«
    »Umwerfen?« Ich verbarg mit Mühe ein Grinsen. »Sie meinen umstellen.«
    Er machte eine ungeduldige Geste. »Ja, ja, umstellen.«
    »Aha.« Ich verband die Punkte zu einem Ganzen. »Sie meinen, weil er Ihren Rat annahm und Haferflocken zum Frühstück wollte, kann er keine Selbstmordgedanken gehabt haben.«
    Steven nickte ernst. »Das ist korrekt. Mein Großvater war nicht unglücklich. Er hat das Leben genossen und war bei bester Gesundheit. Er hatte keine Schmerzen, und sein Geisteszustand war sehr gut. Wie Sie sehen, er hatte keinen Grund, Selbstmord zu begehen.«
    »Wie ist Ihr Großvater denn gestorben?«, fragte ich. Die grausigen Details hatte der Artikel ausgelassen.
    »Ich glaube, dass man ihn gezwungen hat, vom Dach seiner Jagdhütte zu springen.«
    »Ist das tief?« Ich stellte mir eine niedrige Blockhütte irgendwo im Wald vor.
    »Drei Stockwerke.«
    Ich verzog schaudernd das Gesicht. »Au. Sind Sie sicher, dass er nicht einfach aus dem Fenster gefallen ist oder so?«
    »Die Fenster im zweiten Stock sind
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