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Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Titel: Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)
Autoren: Kendare Blake
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aufeinanderprallen. Ich zucke bei dem Lärm zusammen und staune, dass sie nicht sofort beide in blutige Stücke zerspringen.
    »Anna!«, rufe ich drängend, aber leise. Ich kann kaum atmen. Sie ringen miteinander, ihre Gesichter sind vor Anstrengung verzerrt. Sie schleudert ihn nach links und rechts, er knurrt und stößt mit dem Kopf zu. Im Zurücktaumeln sieht sie mich, wie ich mich nähere.
    »Cas!«, ruft sie und knirscht mit den Zähnen. »Ihr müsst hier raus! Bring alle nach draußen!«
    »Ich lasse dich nicht im Stich!«, rufe ich zurück, oder wenigstens glaube ich es. Mir geht so langsam das Adrenalin aus. Es kommt mir vor, als blinkten alle Lichter. Aber ich lasse sie nicht allein. »Anna!«
    Sie schreit. Während sie auf mich konzentriert war, hat der Schweinehund seinen Unterkiefer ausgehakt und sich an ihrem Arm festgebissen wie eine Schlange. Der Anblick ihres Bluts auf seinen Lippen entlockt auch mir einen Schrei. Ich ziehe die Beine an und springe.
    Von hinten packe ich ihn an den Haaren und versuche, ihn von ihr wegzuziehen. Die Wange, die ich ihm zerschnitten habe, flattert bei jeder Bewegung grotesk. Ich schneide ihn noch einmal und versuche, ihm mit dem Messer die Zähne herauszuhebeln. Mit vereinten Kräften schaffen wir es, ihn wegzudrücken. Er prallt gegen das zerbrochene Treppengeländer, stürzt und bleibt benommen liegen.
    »Cassio, ihr müsst sofort gehen«, sagt sie zu mir. »Bitte!«
    Staub rieselt herunter. Sie hat etwas mit dem Haus gemacht, als sie das brennende Loch im Boden geöffnet hat. Ich weiß es, und mir ist auch klar, dass sie es nicht mehr rückgängig machen kann.
    »Du kommst mit.« Ich fasse sie am Arm, aber sie wegzuziehen ist so schwer, als wollte ich eine griechische Säule bewegen. Thomas und Carmel sind schon an der Tür und rufen mich. Sie scheinen tausend Kilometer entfernt zu sein. Jedenfalls werden sie es schaffen. Ihre Schritte donnern die Vordertreppe hinunter.
    Inmitten von alledem bleibt Anna völlig ruhig. Sie legt mir eine Hand auf das Gesicht. »Ich bereue nichts«, flüstert sie und sieht mich zärtlich an.
    Dann verhärtet sich ihre Miene. Sie schiebt mich weg, wirft mich quer durch den Raum wieder dahin, woher ich gekommen bin. Ich überschlage mich und spüre wieder das ungesunde Knirschen in den Rippen. Als ich den Kopf hebe, geht Anna bereits den Obeah-Mann an, der noch immer hingestreckt am Fuß der Treppe liegt. Sie packt ihn an einem Arm und einem
Bein. Er sträubt sich zaghaft, als sie ihn zu dem Loch im Boden schleppt.
    Als er durch seine zugenähten Augen blickt und es erkennt, fürchtet er sich. Seine Schläge prasseln auf Annas Gesicht und Schultern, aber sie wirken nicht sehr wütend, sondern eher defensiv. Anna geht rückwärts, tastet mit dem Fuß nach dem Loch und sinkt hinein. Der rote Schein erfasst ihre Waden.
    »Anna!«, schreie ich, als das Haus stark zu beben beginnt. Doch ich kann nicht aufstehen. Ich kann nichts tun außer zuzusehen, wie sie immer tiefer sinkt und ihn mit sich zieht, während er kreischt und krallt und sich zu befreien sucht.
    Ich werfe mich herum und krieche weiter. Im Mund habe ich einen Geschmack von Blut und Panik. Thomas kommt zu mir und will mich nach draußen ziehen, wie er es vor einigen Wochen schon einmal getan hat, als ich das erste Mal in diesem Haus war. Es kommt mir vor, als wäre das Jahre her, und dieses Mal wehre ich ihn ab. Er gibt es auf und rennt zur Treppe, wo meine Mutter um Hilfe ruft, weil das ganze Haus wackelt. In dem Staub ist es schwer, etwas zu sehen und zu atmen.
    Anna, bitte sieh mich wieder an. Doch sie ist kaum noch zu erkennen. Sie ist so tief versunken, dass nur noch ein paar Tentakel ihrer Haare über dem Boden zucken. Thomas zerrt schon wieder an mir herum und will mich mit aller Kraft nach draußen zerren. Ich hacke mit dem Messer nach ihm, aber trotz meiner Angst will ich ihn nicht ernsthaft treffen. Als er mich über die Verandatreppe schleift, kreischen meine
Rippen auf jeder Stufe, über die ich rutsche. Jetzt würde ich ihn tatsächlich gern abstechen. Aber er hat es geschafft. Er hat mich zu unserer geschlagenen kleinen Truppe am Rande des Gartens gezerrt. Meine Mom stützt Morfran, und Carmel humpelt auf einem Bein.
    »Lass mich los«, knurre ich, oder wenigstens glaube ich, dass ich ihn anknurre. Ich weiß es nicht genau, weil ich nicht mehr richtig sprechen kann. »Oh!«, ruft jemand.
    Ich richte mich auf und betrachte das Haus. Es ist mit einem roten Licht erfüllt,
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