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Anidas Prophezeiung

Anidas Prophezeiung

Titel: Anidas Prophezeiung
Autoren: Susanne Gerdom
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kleine Truhe Platz bot, und nickte unaufmerksam.
    »Das war deine Kammer?«, fragte sie erstaunt. »Was heißt das, wann hast du hier gelebt?«
    Marten schien die Frage unangenehm zu berühren. »Zuletzt während meiner Zeit als Söldner. Amos sagt, dass er diese Dachkammern ohnehin selten oder nie vermietet. Er wollte mir das Gefühl geben, ihm jederzeit willkommen zu sein.« Er trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Seine Augen irrten unstet durch den kleinen Raum. Er berührte fahrig einen walnussgroßen, glatt polierten Stein, der wie vergessen auf der Truhe lag, und streichelte mit den Fingern darüber. Sein breites Gesicht nahm einen verlorenen, traurigen Ausdruck an, der gar nicht so recht zu ihm passte.
    Ida war wider Willen berührt. »Was hast du?«, fragte sie, ein wenig ungehalten über ihr eigenes Mitgefühl.
    »Nichts«, murmelte er und nahm den Stein in seine riesige Hand. »Der hat meinem Bruder gehört. Er hatte ihn immer bei sich. Ich wusste nicht, dass Amos ihn hierher gelegt hat.«
    Ida setzte sich auf das niedrige Bett. »Amos scheint ein netter Mensch zu sein.«
    Es klang verwundert, und der dicke Mann verzog ein wenig das Gesicht. Er legte den Stein behutsam wieder auf seinen Platz. »Und da fragst du dich: Was hat ein netter Mensch wie Amos mit einem Ungeheuer wie mir zu schaffen, richtig?« Seine Stimme war von trügerischer Sanftmut.
    »Ehrlich gesagt, ja«, erwiderte Ida kühl.
    »Nun, am besten lässt du dir das von ihm selbst beantworten«, beschied Marten ihr ebenso kalt und drehte sich auf dem Absatz um. Ida hörte ihn die Treppe hinab schnaufen und legte sich ermattet zurück aufs Bett. Von hier aus konnte sie durch die Dachluke direkt in den blassblauen Abendhimmel sehen. Noch während sie über Marten und seine Beziehung zu einem netten alten Mann namens Amos nachdachte, schlief sie ein.
    Sie schrak mit einem heftigen Ruck hoch, als jemand sie nicht besonders sanft an der Schulter rüttelte. Einen Moment lang ohne jede Orientierung sah sie verständnislos in ein großes Gesicht, das von einem verdämmernden Himmel eingerahmt wurde.
    »Das Essen ist fertig«, knurrte der dicke Mann und ließ ihre Schulter los. »Du hast richtig fest geschlafen, hm? Ich musste alle Treppen wieder hier heraufsteigen, weil du mich nicht hast rufen hören.«
    Ida schwang die Beine aus dem Bett und fuhr sich gähnend durch die zerzausten Haare. »Was für ein Unglück«, bemerkte sie. »Hoffentlich hat dich die Kletterpartie nicht zu sehr vom Fleische fallen lassen, das wäre ja eine wahre Schande.«
    Marten schnaubte verächtlich und legte die Hand auf den Türknauf. »Tu mir einen Gefallen. Solange wir mit Amos zusammen sind, versuch doch zumindest, den äußeren Anschein zu wahren. Immerhin habe ich dich als einen Freund vorgestellt.«
    »Hatte ich dich darum gebeten?«, fragte Ida unhöflich.
    Marten drehte sich um und sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. »Es ist nicht um meinetwillen. Amos ist jemand, der mir sehr nahe steht. Ich möchte nicht, dass er sich Sorgen macht. Bitte, Prinzessin. Es sind doch nur ein paar Stunden.«
    Seine flehende Miene mit den zum Schmollen geschürzten Lippen brachte Ida zum Lachen. »Also abgemacht, Waffenstillstand«, gab sie nach. »Aber nur, weil ich den Alten wirklich reizend finde.«
    Amos empfing Ida mit einem herzlichen Lächeln in der großen Küche und komplimentierte sie an einen schön gedeckten Tisch. Marten zog sich unaufgefordert einen Stuhl heran und ließ sich schwer darauf niedersinken.
    »Hast du außer uns keine Gäste?«, fragte er und griff nach dem Teller, den Amos ihm reichte. Der Alte schüttelte mit einem bedauernden Achselzucken den Kopf und schöpfte Suppe in seinen Teller. Ida hob den Löffel an den Mund und musste an sich halten, um nicht aufzustöhnen. Anscheinend ging die Mastkur hier bei Amos weiter. Der Alte hatte aufgefahren, als gälte es, eine ganze Kompanie ausgehungerter Gardisten zu verköstigen. Und außerdem war er, nach dem Löffel Suppe zu urteilen, den sie gerade probiert hatte, ein mindestens ebenso guter Koch wie Marten. Sie blickte sorgenvoll auf ihren Hosenbund nieder, der schon deutlich strammer zu sitzen schien als noch vor einigen Tagen. Wenn das so weiterging, war sie bald genauso fett wie Marten.
    Die beiden Männer aßen stumm und konzentriert. Erst, als selbst Marten keine weitere Portion Suppe mehr verlangte und Amos sich an den Herd begab, um sich um den nächsten Gang zu kümmern, führten sie das
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