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Anidas Prophezeiung

Anidas Prophezeiung

Titel: Anidas Prophezeiung
Autoren: Susanne Gerdom
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hockte sich neben ihn und begann, seine aufgelösten Zöpfe neu zu flechten.
    Simon betrachtete sie mit in die Hand gestütztem Kinn. Die jüngste Tochter des Lords von Sendra war ein bemerkenswert unansehnliches Mädchen: überdurchschnittlich groß für ihre neun Lenze überragte sie sogar ihren zwei Jahre älteren Bruder um beinahe einen halben Kopf. Dabei war sie so dünn wie ein Grashalm und strahlte wenig Anmut und Grazie aus. Simon seufzte unhörbar. Was für ein Unterschied zu ihrer älteren Schwester Amali, die jetzt schon eine ausgesprochene Schönheit war. Aber wo diese ein sanftes Wesen, veilchenblaue Augen und weich gelocktes honigblondes Haar ihr Eigen nannte, schien Anida aus nichts als spitzen Ellbogen und einer ebensolchen Zunge zu bestehen und war noch dazu mit dem scheckigen dreifarbigen Haar gezeichnet, das vom Gesinde und den Dorfleuten verstohlen und mit abergläubisch gekreuzten Fingern »Hexenhaar« genannt wurde.
    »Du trägst wieder Kleider deines Bruders«, tadelte Simon. »Du weißt, dass dir das verboten wurde.«
    Sie zuckte mit den Schultern und zog die Nase hoch. »Hast du schon mal versucht, in Röcken auf einen Baum zu steigen?«
    Simon lachte auf und tarnte es als missbilligendes Husten. »Du bist eine verdammte Plage«, sagte er aus tiefster Seele. »Ich bin wirklich froh, dass ich nicht deine Tante bin und dir Anstand beibringen muss!«
    Das Mädchen zog eine Grimasse. »Anstand und Sticken.« Ihre Stimme klang angewidert. »Ich würde viel lieber von Euch im Kampf unterrichtet, edler Ritter.«
    Simon schüttelte amüsiert den Kopf. »Das könnte Euch so passen, holde Prinzessin. Was glaubst du, was dein Vater mir erzählen würde.« Er erhob sich und hielt ihr seine Hand hin. »Komm, Ida. Wahrscheinlich sucht die Herrin schon nach dir.«
    »Du verrätst ihr nicht, wo du mich gefunden hast?« Ein flehender Blick aus plötzlich goldgrünen Augen traf den jungen Mann. Er runzelte die Stirn, und ein hochmütiger Ausdruck flog über seine kantigen Züge. Er verschwand so schnell, wie er gekommen war und machte einem nachsichtigen Lächeln Platz.
    »Natürlich werde ich das nicht tun. Ich habe dir schließlich mein Ehrenwort gegeben. Nun geh schon ins Haus, Anida. Ich habe noch anderes zu tun, als Kindermädchen für ein verzogenes Gör wie dich zu spielen.«
    Ida schnaufte beleidigt und stakste mit hocherhobenem Kopf davon.

    Tante Ysabet schalt sie gründlich aus, die Hände in die rundlichen Hüften gestemmt, und schickte die verstockt dreinblickende Ida zur Strafe auf die Kammer, die sie sich mit ihrer Schwester teilte. »Warte nur, bis ich das deinem Vater erzählt habe«, schimpfte die Tante hinter ihr her, als sie die Treppe zu den Schlafgemächern hinaufschlüpfte.
    Ida verdrehte die Augen, die vor hilflosem Zorn beinahe schwarz erschienen, und schnitt eine fürchterliche Grimasse, die ihr eine tüchtige Maulschelle eingetragen hätte, wenn ihre Tante sie bemerkt hätte. Ida warf sich auf ihr Bett und drückte die Fäuste gegen die Augen. »Ich hasse euch alle«, flüsterte sie in ihr Kissen.
    Durch das Fenster schallte die tiefe Stimme des Lord-Kämpen, der ihren Bruder Albuin erbarmungslos über den staubigen Hof scheuchte. Das Mädchen hockte sich in die Fensternische und starrte hinaus. Der blonde Schopf ihres Bruders war schon jetzt dunkel vor Schweiß, und er mühte sich ungeschickt mit dem hölzernen Schwert ab, während der riesenhafte Ritter ihm mit steigender Ungeduld seine Anweisungen zurief. Ida verfolgte vom Fenster aus die Unterrichtsstunde und biss sich vor Missvergnügen auf ihren Zeigefingerknöchel, als Albuin ungeschickt über seine eigenen Füße stolperte und seine glitschigen Finger von dem lederumwickelten Schwertgriff abglitten.
    »Jetzt parieren«, kommentierte sie selbstvergessen. »Du hast zwei Arme, du Trottel, jetzt fass doch gescheit zu! Ach, süßer Iovve! Albi, du bist doch wirklich zu dusslig.«
    Albuin rappelte sich aus dem Staub auf und begann sich mit schriller Stimme zu rechtfertigen. Simon schnitt ihm barsch das Wort ab. Ida hörte ihn brüllen: »Wenn du sowieso nicht auf das hörst, was ich dir sage, brauche ich mir auch keine Fransen an die Zunge zu reden. Geh mir bloß aus dem Gesicht, für heute habe ich genug von deinem Anblick, Bursche!« Er wandte sich schroff um und schritt zur Pumpe, um sich zu waschen. Albuin stand noch einen Moment lang mit hängendem Kopf und baumelnden Armen da, dann fuhr er herum und rannte ins Haus.
    Ida
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