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Anidas Prophezeiung

Anidas Prophezeiung

Titel: Anidas Prophezeiung
Autoren: Susanne Gerdom
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dahinter aussehen mochte. Es schien dort Gärten zu geben, denn sie sah Bäume und die Spitzen von Sträuchern. Hin und wieder konnte sie durch den Spalt eines offen stehenden Tores den Blick auf grüne und blühende Flächen erhaschen, aber das war auch schon alles.
    Ida war froh, als sie den Ort hinter sich gelassen hatten und weiter durch die fruchtbare Ebene nach Westen ritten. »Wann werden wir an unserem Ziel sein?«, fragte sie, als der Abend sich näherte.
    Marten drehte sich nicht zu ihr um. »Wir kommen heute noch in Iskerias an, aber zur Khanÿ kann ich dich frühestens morgen bringen«, sagte er knurrig. Ida nahm es zur Kenntnis. Es erschien ihr ohnehin gescheiter, ausgeruht zu dem Treffen zu erscheinen.

    Iskerias entpuppte sich als erstaunlich große Stadt. Ida schätzte, dass sie nicht viel kleiner als Nortenne war. Hier sah sie auch die erste Frau, die mit gesenktem Kopf hinter einem Mann herging. Sie hatten kurz angehalten, weil Marten einen Stein entfernen musste, den sein Pferd sich eingetreten hatte, und Ida fand die Muße, sich gründlich umzublicken.
    Ida musste sich zwingen, die Frau nicht fassungslos anzustarren. Sie hatte es für einen der nicht besonders gelungenen Scherze Martens gehalten, aber jetzt konnte sie es mit eigenen Augen sehen. Unter gesenkten Lidern und aus den Augenwinkeln betrachtete sie die üppige, in reich bestickte Gewänder gekleidete Gestalt der Frau und die breite, mit blitzenden Steinen und bunter Stickerei verzierte Binde, die sie um ihre Augen trug. Und wirklich, da war auch eine kurze, hübsch geflochtene Leine, die sie mit dem Gürtel des vorangehenden Mannes verband. Er schritt stolz und ein wenig prahlerisch daher, in seinem ganzen Auftreten ein wohlhabender Kaufmann, und seine Frau – Ida nahm zumindest an, dass sie seine Frau war – folgte ihm mit kurzen, tastenden Schritten, aber ohne im Mindesten zu zögern. Hin und wieder rief er leise etwas über seine Schulter zurück, wahrscheinlich, um ihr Hindernisse auf dem Weg oder eine Richtungsänderung anzuzeigen.
    Ida hätte beinahe Martens Warnung vergessen, aber im letzten Moment wandte sie das Gesicht ab und blickte angestrengt in die Gegenrichtung, als das Paar an ihnen vorbeiging. Marten hatte den Huf seines Pferdes gesäubert und stieg wieder auf. »Da vorne ist unsere Herberge«, wies er die Straße hinauf. »Dort werden wir uns einquartieren.«
    Ida machte sich auf das Schlimmste gefasst, aber die Herberge war zwar einfach, doch sauber und wurde von einem freundlichen alten Mann geführt, der Marten überaus herzlich begrüßte. Marten umarmte ihn und wechselte dann leise einige Worte mit ihm. Ida, die sich einige Schritte entfernt aufhielt, konnte nicht hören, was die beiden sagten, wunderte sich aber über den sanften, beinahe liebevollen Klang von Martens Stimme. Endlich winkte der alte Mann ihr zu und reichte ihr eine knorrige Hand zur Begrüßung. Sie lächelte in seine wässrigen blauen Augen und wurde mit einem breiten, zahnlückigen Lächeln belohnt.
    »Ich freue mich, einen Freund Martens kennen zu lernen«, sagte der alte Mann mit erstaunlich klangvoller, jugendlicher Stimme. »Ich bin Amos.« Ida murmelte ihren falschen Namen, und der alte Amos klopfte ihr ungeschickt auf den Arm. »Schön«, sagte er und rieb sich zufrieden die stark geäderten Hände. »Was möchtest du essen, mein Junge? Oder willst du einem alten Mann zeigen, was du in den letzten Jahren alles verlernt hast von dem, was er dir beigebracht hat?«
    Marten lachte rollend und hob seine Satteltaschen auf. »Nein, Amos, das werde ich nicht tun. Ich freue mich schon seit Tagen auf deine Künste. Und ich lasse mich gerne von dir überraschen, mein Alter.«
    »Zeig deinem jungen Freund den Weg«, sagte Amos energisch und warf einen unauffälligen Blick auf Idas scheckiges Haar. »Er kann dein altes Zimmer haben, falls es dir nichts ausmacht. Du schläfst doch sicher lieber wieder in einem der unteren Gastzimmer.«
    Marten nickte und wies Ida den Weg über die steile Treppe. Das Haus war weitaus verwinkelter, als es von außen den Anschein gehabt hatte. Die Kammer, auf deren Boden sie schließlich ihr Gepäck fallen ließ, befand sich unter der Dachschräge und bot einen wunderbaren Ausblick über die Dächer und Innenhöfe der Stadt. Ida lehnte sich weit aus der Dachluke und ließ den Blick schweifen. »Du findest zurück?«, fragte Marten brummig. Ida sah sich in der kleinen Kammer um, die für wenig mehr als ein Bett und eine
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