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Am Montag flog der Rabbi ab

Am Montag flog der Rabbi ab

Titel: Am Montag flog der Rabbi ab
Autoren: Harry Kemelman
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gut behandelt.»
    «Das stimmt wohl …»
    «Aber verstehst du denn nicht, Betty?», fuhr er lebhaft fort. «Das ganze Geheimnis liegt darin, dass man Gast ist. Hätte ich die Stellung angenommen, wäre das vorbei gewesen.»
    «Worauf willst du hinaus?»
    «Ich glaube, wir haben bei dieser ganzen Sache mit dem Ruhestand den falschen Weg eingeschlagen. Das Entscheidende dabei ist, dass man frei ist und genügend Geld hat, es zu bleiben. Das bedeutet, man kann tun, was man möchte.»
    «Aber das hast du doch versucht und dich gelangweilt.»
    «Irrtum – ich hab das getan, was andere Leute von mir erwarteten – nämlich nichts. Und das ist zugegebenermaßen langweilig. Aber wenn du tust, was du möchtest, bedeutet das, eine Zeit lang nichts tun, und wenn dir danach zumute ist – arbeiten. Ich hab dir nichts davon gesagt, aber ich hab gestern im Seminar angerufen und lange mit dem Stellenvermittlungsbüro gesprochen. Ich hab ihnen erklärt, dass ich interessiert bin an Jobs auf Zeit, als Vertretung für Rabbis, die ihr Sabbatjahr nehmen, oder für jemand, der krank und voraussichtlich eine Weile bettlägerig ist, und dass Geld eine untergeordnete Rolle spielt. Ich bat sie, an mich zu denken. Nach meinem Eindruck dürfte ich keine Schwierigkeiten haben, so viel Jobs zu kriegen, wie ich nur haben will.»
    «Du willst wieder arbeiten?»
    «Nur wenn ich Lust dazu habe. Ich möchte ein bisschen reisen, vielleicht nach Israel. Wir könnten ja auch ein paar Monate dort bleiben, genau wie die Smalls. Dann würde ich eine Stellung annehmen für einige Monate oder ein halbes Jahr – wenn mir danach ist, wenn mir der Ort und die Leute gefallen. So wären wir überall, wo wir hingehen, neu – und unabhängig. Und ich glaub schon, dass ich in der Leitung einer Gemeinde ganz gut bin.»
    «Ach, Hugo, einer der Besten!», rief Betty aufgeregt. «Ich meine auch, dass es so gehen wird. Und wenn sie dich vielleicht bitten zu bleiben …»
    «Dann würde ich antworten, bedauere, ich bin im Ruhestand und nicht interessiert an einer Dauerstellung.»
    «Das wäre wohl das Beste, Lieber.»
     
    Sie sprachen nicht, als sie in den Wagen einstiegen, jeder hing seinen Gedanken nach. Aber während der Fahrt fragte Raymond klagend: «Und was tun wir jetzt?»
    «Was können wir schon tun?», blubberte Marty wütend los. «Wir machen uns daran, die Begrüßungsparty für die Smalls vorzubereiten.»

53
    «Meine Frau sagt mir, dass Sie beide morgen Abend zu uns rüberkommen wollen», erklärte Lanigan, «aber da ich zufällig in der Gegend war …»
    «Selbstverständlich», sagte Miriam. «Und Sie trinken doch eine Tasse Tee, nicht wahr?»
    Sie stand auf und ging in die Küche. Der Polizeichef musterte sie, sein Blick blieb in der Taillengegend hängen. «Na, wie ich sehe, waren Sie da drüben nicht müßig, David. Ich weiß nicht recht, ob das die Reise lohnte. Aber haben Sie das gefunden, weswegen Sie hinfuhren?»
    «O ja», sagte der Rabbi, während er Miriam half. Er stellte Lanigan Sahne und Zucker hin. «Es war dort, und wir fanden es praktisch am Tag unserer Ankunft.»
    «Na, das ist schön. Trotzdem war es ein bisschen tollkühn, drei Monate von Ihrem Posten wegzugehen, besonders wo die Konkurrenz so hervorragend war, meinen Sie nicht auch? Allerdings beweist wohl die Begrüßungsparty, die sie Ihnen gegeben haben, dass Sie wussten, was Sie taten …», fügte er widerstrebend hinzu.
    War das ein leichter Verweis, weil er seine Stellung riskiert hatte? Der Rabbi war gerührt. «Ja, er ist ein guter Mann, Rabbi Deutch. Hat man ihn in der Stadt gern gehabt?»
    Lanigan nickte emphatisch. «Er ist sehr eindrucksvoll. Die Rolle ist ihm auf den Leib geschrieben.» Sein Blick taxierte den Rabbi. «Ihnen nicht.»
    «Ich weiß.»
    «Na, unterschätzen Sie das ja nicht. Leute zu beeindrucken das gehört zu Ihrem Handwerkszeug. Heute ist das angeblich nicht Mode, erzählt man mir. Aber ich bin nicht überzeugt, dass das so bleibt. Wir haben zum Beispiel einen neuen Hilfsgeistlichen in unserer Kirche. Er kam, während Sie fort waren. Der neue Priestertyp. Läuft ständig in Bluejeans und Pullover rum. Hockt mit den jungen Leuten auf dem Fußboden und spielt Gitarre. Religiöse Lieder, zugegeben, aber sie hören sich nicht fromm an. Zumindest nicht, wie wir’s gewöhnt sind. Und was ist die Folge? Wenn ich ihn vor dem Altar in seinen Messgewändern die Messe zelebrieren sehe, habe ich einen Hippie in Bluejeans vor Augen. Und wenn er predigt, denke
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