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Am Montag flog der Rabbi ab

Am Montag flog der Rabbi ab

Titel: Am Montag flog der Rabbi ab
Autoren: Harry Kemelman
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Freitagabend –, und dann teilen sie mir mit, dass sie für das nächste Jahr einen Wechsel planen. Also warum sie dann nicht mit ihren eigenen Waffen schlagen?»
    «Ach, das täten sie nie», widersprach Miriam. «Damit kämen sie nicht durch. Mr. Wasserman und alle deine Freunde würden dagegen ankämpfen …»
    «Na, ich bin gar nicht so sicher, ob ich einen Kampf möchte. Wieso habe ich es nötig zu kämpfen? Und wie lange? Bis sie mich akzeptieren? Ich bin jetzt sechs Jahre hier. Das ist mein siebentes, und es hat fast in jedem Jahr eine Krise um meine Stellung gegeben. Entweder haben sie versucht, mich zu feuern, oder mich in eine Position manövriert, in der mir keine andere Wahl blieb, als meinerseits zu kündigen. Ich habe das satt. Wenn ein Job so geartet ist, dass ein Mensch seine ganze Zeit und Kraft darauf verwenden muss, ihn zu behalten, stimmt doch was nicht daran.»
    «Der letzte Vorstand wollte dir doch einen Vertrag auf Lebenszeit und außerdem ein Sabbatjahr geben.»
    «Solche Gerüchte habe ich auch gehört. Vermutlich hätte ich angenommen, wenn sie dazu bereit gewesen wären», sagte er niedergeschlagen. «Und trotzdem – wozu ist ein Vertrag auf Lebenszeit gut? Er bindet mich, aber nicht sie. Wenn sie mich loswerden wollen, brauchen sie nur einen Vorschlag zu machen, der für mich unannehmbar ist, und schon würde ich kündigen. Denk doch mal an damals, als ich eine rabbinische Entscheidung über das Begräbnis für den armen Isaac Hirsh getroffen habe und der damalige Gemeindevorsteher Mort Schwarz einfach darüber hinwegging und die Leiche exhumieren ließ. Das war im ersten Jahr meines Fünfjahresvertrages, wenn du dich erinnerst. Und mir blieb keine Wahl, als meinen Rücktritt einzureichen.»
    «Aber sie haben ihn nicht angenommen», wandte Miriam ein.
    «Ach, das hätten sie ohne weiteres getan, wenn es nicht um die Goralskys gegangen wäre, denen sie gefällig sein wollten. Und hat nicht Ben Gorfinkle mir erst voriges Jahr klipp und klar gesagt, er würde mich für die letzten paar Monate meines Vertrages auszahlen und mich mitten im Jahr auf die Straße setzen?»
    «Das stimmt. Aber da dachten er und seine Freunde im Vorstand, du hetzt ihre Kinder gegen sie auf. Es war eine reine Machtfrage. Ich bin sicher, sie hätten das nicht bis zu Ende durchgespielt. Deine Freunde im Vorstand, Wasserman, Becker und die anderen, wären bestimmt dagegen eingeschritten.»
    «Irrtum, Wasserman und Becker konnten nichts dergleichen tun», entgegnete er. «Sie konnten mir höchstens einen Posten in einer anderen Gemeinde anbieten, die sie gründen wollten. Erst als dieselben Kinder in einen Mordfall verwickelt wurden, hat mir das die Stellung gerettet. Und vergiss eins nicht – gerade Becker war derjenige, der in meinem allerersten Jahr hier an der Spitze meiner Gegner stand. Er wollte mich unbedingt fallen lassen, als es nicht nur um meinen Posten, sondern um meinen Kopf ging.»
    «Ach, David, das sind doch uralte Geschichten», sagte Miriam vorwurfsvoll. «Seitdem hat dir Becker ebenso die Stange gehalten wie Wasserman. Willst du ihm etwa heute noch vorwerfen, dass er im ersten Jahr gegen dich war?»
    «Ich mache es keinem zum Vorwurf, wenn er gegen mich war», antwortete er. «Weder Becker noch Schwarz noch Gorfinkle. Sie haben alle nur das getan, was sie für richtig hielten. Vielleicht ist der Einzige, dem ich etwas übel nehmen sollte, Jacob Wasserman.»
    Miriam sah ihn ungläubig an. «Wasserman! Wieso denn, er war doch von Anfang an dein Freund. Er ist derjenige, der dich hergebracht und sich gegen alle Widerstände dafür eingesetzt hat, dass du hier bleibst.»
    Der Rabbi nickte. «Genau das meine ich. Er war zu gut zu mir. Hätte er sich im ersten Jahr der Mehrheitsmeinung angeschlossen, wäre ich vielleicht von hier weggegangen und in einer anderen Gemeinde angestellt worden. Vielleicht habe ich hier um meinen Posten kämpfen müssen, weil ich nicht richtig dazugehöre. Und wenn ich das nach sechs Jahren immer noch tun muss, ist es vielleicht der falsche Job. Vielleicht würde eine andere Gemeinde …»
    «In diesen Stadtrandgebieten ist eine wie die andere», meinte Miriam.
    «Dann liegt es vermutlich an mir. Vielleicht bin ich nicht flexibel genug. Vielleicht gehöre ich überhaupt nicht ins Rabbinat, zumindest nicht in die Leitung einer Gemeinde. Vielleicht tauge ich besser für ein Lehramt, vielleicht für wissenschaftliche oder organisatorische Arbeit.» Er setzte sich aufs Sofa und sah
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