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Am Montag flog der Rabbi ab

Am Montag flog der Rabbi ab

Titel: Am Montag flog der Rabbi ab
Autoren: Harry Kemelman
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Ferien in irgendeiner Kleinstadt dazuverdienen konntest. Und dann der Posten in Louisiana, den du nicht wolltest. Und der Job als zweiter Rabbi in Cleveland, der höher dotiert war als die meisten regulären Stellen für Rabbis, die gerade mit dem Studium fertig sind. Du sagtest damals, du wolltest dich in deinen Ansichten keinem anderen Rabbi unterordnen. Und als du in der Ära Schwarz hier kündigen wolltest, war ich auch einverstanden, obwohl ich damals Jonathan erwartete und nicht besonders scharf darauf war, in eine andere Stadt zu ziehen und eine Wohnung für uns und ein neugeborenes Baby zu suchen. Und jetzt möchtest du das Risiko eingehen, deinen Posten zu verlieren, damit du wegfahren und eine Zeit lang in Jerusalem leben kannst. Wieder werde ich dir darin folgen. Die große Strategie ist deine Sache, aber in Taktik bist du weniger gut. Wenn wir mehrere Monate in Jerusalem leben wollen, müssen wir eine Bleibe haben. Wir können es uns nicht leisten, die ganze Zeit in einem Hotel zu wohnen. Außerdem ist man dann noch immer mehr Gast. Ich werde also Tante Gittel schreiben. Sie lebt seit den Zeiten der britischen Mandatsregierung in Israel. Ich sage ihr genau, was wir vorhaben. Mal sehen, ob sie uns eine möblierte Mietwohnung verschaffen kann.»
    «Aber sie lebt doch in Tel Aviv, und ich möchte nach Jerusalem.»
    «Da kennst du meine Tante Gittel nicht.»

2
    Bert Raymond klopfte auf den Tisch, um sich Gehör zu verschaffen, «Das Verlesen des letzten Sitzungsprotokolls können wir uns wohl schenken, glaube ich. Soweit ich mich erinnere, haben wir nicht viel getan.»
    Ben Gorfinkle hob die Hand. «Ich würde das Protokoll gern hören, Mr. Chairman», erklärte er gelassen.
    «Aber sicher, Ben. Würdest du bitte das Protokoll vorlesen, Barry.»
    «Na ja, also, Bert, Mr. Chairman wollte ich sagen – ich bin nämlich noch nicht zum Abschreiben gekommen. Ich meine – Notizen hab ich mir ja gemacht, aber – na, eben nur als Entwurf gewissermaßen.»
    «Schon gut, Barry. Ben wird an kleinen Stilfehlern bestimmt keinen Anstoß nehmen …»
    «Ich wollte auf was anderes raus. Ich hab nämlich meine Notizen gar nicht dabei. Ich dachte, da fehlt sowieso noch der letzte Schliff, und dann haben wir ja in der letzten Sitzung auch keine besonderen Beschlüsse gefasst – na ja, und da fand ich’s eben nicht der Mühe wert, sie mitzubringen.»
    Der Chairman war ein hoch gewachsener, nett aussehender junger Mann, ein guter Kerl, den jeder gern hatte und den niemand unnötig in Verlegenheit bringen wollte. Die Nachlässigkeit des Schriftführers war ihm sichtlich peinlich. Gorfinkle zuckte die Achseln. «Wenn sich sowieso nichts getan hat, spielt’s ja wohl keine Rolle.» Bei diesem neuen Vorstand gab es so viele Einwände gegen gewichtigere Dinge, dass es sinnlos erschien, sich bei einer solchen Bagatelle zu widersetzen.
    «Okay», sagte der Chairman dankbar, «dann kommen wir zum Hauptthema dieser Sitzung. Was halten Sie vom Brief des Rabbi?»
    Wieder hob Gorfinkle die Hand. «Ich muss doch was in der letzten Sitzung verpasst haben. Von einem Brief des Rabbi hab ich kein Wort gehört.»
    Der Chairman war zerknirscht. «Ach ja, natürlich, du weißt ja nichts davon, Ben. Ich hab ihn diese Woche bekommen und mit ein paar Leuten darüber gesprochen. Daher nahm ich an, jeder weiß Bescheid. Der Rabbi hat mir geschrieben und gebeten, ihn ab Neujahr für drei Monate zu beurlauben.»
    «Kann ich den Brief mal sehen?»
    «Ich hab ihn nicht bei mir, Ben. Aber sonst steht nichts weiter drin – nur, was ich gesagt habe. ‹ Hiermit bitte ich darum, mich für drei Monate zu beurlauben.› So in der Preislage, ein reiner Geschäftsbrief.»
    «Hat er keinen Grund für seine Bitte angegeben?», fragte Gorfinkle.
    «Nein. Nur, was ich dir gesagt habe …»
    «Und ich sage euch, das ist ein Schachzug», unterbrach Stanley Agranat. «Um eine Beurlaubung geht’s ihm doch gar nicht. Ein Vertrag – daran ist er interessiert. Er schickt uns diesen Brief, also müssen wir zu ihm gehen und fragen: ‹ Was gibt’s, Rabbi?› Darauf sagt er, er möchte drei Monate frei nehmen. Darauf sagen wir: ‹Aber, Rabbi, Sie können doch nicht einfach so drei Monate mitten im Jahr frei nehmen. Sie haben ja schließlich einen Job hier.› Darauf stellt er sich dumm und sagt: ‹Ach, tatsächlich? Ich hab aber gar keinen Vertrag.› Darauf müssen wir ihm wieder um den Bart gehen und erklären, wieso wir noch nicht dazu gekommen sind, die Sache mit
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