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Am Anfang war die Mail

Am Anfang war die Mail

Titel: Am Anfang war die Mail
Autoren: Tanja Nasir
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wollte, trat eine junge Frau mit einem Mikrofon auf das Podium, und die Menge begann zu kreischen.
    Boah, war das laut! Die Frau versuchte einige Minuten lang, die vielen Mädchen zu beruhigen. Als sie es endlich geschafft hatte, kündigte sie die Band an. Alle brachen erneut in hysterisches Geschrei aus. Genervt hielt ich mir die Ohren zu und bemerkte nicht, dass ich ganz laut mitschrie. Eine erbärmliche Lightshow setzte ein, und die Fünf betraten das Podest. ›Huch, wo sind die denn auf einmal hergekommen?‹
    Ein Blitzlichtgewitter regnete auf sie hinab. Ich stand da und gaffte mit offenem Mund zu Joshua hinüber. Natürlich saß er genau am anderen Ende des Tisches. Da ich ja seitlich stand, hatte ich vier berühmte Köpfe im Weg. Ich konnte Joshua nur dann sehen, wenn er sich gerade vor- oder zurückbeugte oder die anderen Bandmitglieder sich alle bewegten. Mit kalten Fingern packte ich meine Kamera aus. Sven begrüßte die Fans und plapperte fröhlich ins Mikrofon. »Hallo Gießen, wir freuen uns sehr, hier bei euch zu sein!«
    Er erzählte, was die Jungs bisher erlebt hatten und spaßte mit den Girls. Dann öffneten Angestellte der Security das Absperrband und ließen ein Mädchen nach dem anderen auf das Podest.
    ›Boah, in dem Tempo dauert die ganze Geschichte fünf Jahre.‹
    Verlegen knipste ich ein paar Bilder. Als ich sie mir auf dem Display anschaute, bemerkte ich aber, dass Joshua auf keinem Bild gut zu sehen war. Dafür guckte auf dem letzten Foto der Gitarrist Marco genau zu mir. Ich blickte wieder zum Tisch, doch jetzt signierte er gerade Poster.

    Ich blieb noch einige Zeit dort stehen und versuchte, mir klar zu machen, dass ich Joshua lebendig vor mir hatte. So oft hatte ich mir seine Fotos angeschaut. Jetzt saß er dort. Keine zwölf Meter entfernt. Viele der Fans umarmten die Jungs oder gaben ihnen Küsschen auf die Wange. Sie waren alle ganz nahe dran.
    Zu jedem Mädchen hatte ich einen passenden Gedanken: ›Fall tot um!‹ - ›Hol dir die Krätze!‹ - ›Krieg Akne!‹ - ›Friss net so viele Pommes!‹ - ›Uh, bei dir hätten die Eltern lieber verhüten sollen!‹

    Vor Eifersucht kochend entschied ich mich nach einer Weile, zur Konzerthalle zurückzugehen. Christin und ihre Freundin müssten bald ankommen. Als ich mich durch die Menge zum Ausgang kämpfte, kam ich mir wie ein Spartiat vor, der gegen hunderte von Persern antrat. Genau vor mir waren zwei Mädchen, die Arm in Arm Richtung Ausgang watschelten. Sie hatten beide hochrote Köpfe, und es war nicht zu überhören, was sie sagten. Hysterisch fragten sie sich immer wieder gegenseitig, ob sie wirklich gerade ›DTA‹ umarmt und geküsst hätten.
    »Oh, Sven ist so süß, … nein, Josh ist viel süßer! Uh, aber auch Tom«, … bla bla!
    Mann, die stellten sich vielleicht an! Ich legte einen Zahn zu und überholte die Zwei.
    Im Vorbeigehen zischte ich: »Mann, kriegt euch wieder ein! Oder habt ihr zum ersten Mal ’nen Typen umarmt?«
    Die Eine rempelte ich beim Überholen an. Ich glaube, dass sie mir noch ein »Blöde Kuh!« hintergerufen hatten, aber da stand ich natürlich voll drüber! ›Das tangiert mich nur peripher, Schätzchen!‹

    An der frischen Luft angekommen, atmete ich erst mal durch und orientierte mich neu. ›Von wo war ich vorhin noch mal gekommen?‹
    Zur Sicherheit fragte ich nach dem Weg zurück zur Konzerthalle. Als ich um die letzte Ecke bog, war ich schon wieder überrascht: Vor der Halle hatte sich eine beachtliche Schlange gebildet. Ich stellte mich hinten an und kramte mein Handy aus der Tasche. Oh, ich hatte einen verpassten Anruf. Von Christin. Ich rief zurück. Nach dem zweiten Klingeln nahm sie das Gespräch an. Sie sagte mir, dass sie schon in der Reihe anstand und ich mich einfach nach vorne durchquetschen sollte.
    Super! Habt ihr euch jemals in so einer Situation vorgedrängelt? Wisst ihr, wie verständnisvoll das in so einem Moment aufgenommen wird?
    Ich fuhr meinen virtuellen Schutzpanzer aus. Dann hob ich einfach wieder mein Handy ans Ohr, tat so, als würde ich noch immer mit Christin sprechen und quetschte mich an den anderen Mädels vorbei.
    »Du bist schon da? Echt, … ja, warte ich komme! ... Entschuldigung, dürfte ich mal? Christin, … moment, ja, ich bin gleich da. … Sorry, ich müsste mal vorbei, meine Freundin ist da vorne …«
    Ich spürte die Hitze der hasserfüllten Blicke auf meinem Hinterkopf brennen. Ich würde es nicht beschwören, aber ich glaube, einige fauchten
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