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Als ich unsichtbar war

Als ich unsichtbar war

Titel: Als ich unsichtbar war
Autoren: Pistorius Martin
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namens Yasmin wartet. Ich lasse den Kopf hängen, während sie mit meinen Eltern reden. Die Innenseite meiner Wange fühlt sich wund an. Ich habe mich versehentlich gebissen, als ich vorhin zu Mittag gefüttert wurde, und mein Mund ist immer noch empfindlich, obwohl die Blutung inzwischen aufgehört hat.
    Als Shakila sich bei meinen Eltern nach meiner Krankheitsgeschichte erkundigt, frage ich mich, was sie nach so langer Zeit denken mögen. Haben sie genauso viel Angst wie ich?
    »Martin?«, höre ich eine Stimme sagen, und mein Rollstuhl wird durch den Raum geschoben.
    Wir halten direkt vor einer großen durchsichtigen Tafel aus Plexiglas auf einem Metallständer. Rote Linien verlaufen kreuz und quer über den Schirm und unterteilen ihn in kleine Kästchen, auf die bei manchen schwarze und weiße Bilder geklebt sind. Die Strichzeichnungen zeigen einfache Dinge – einen Ball, einen laufenden Wasserhahn, einen Hund –, und Shakila steht auf der anderen Seite der Tafel und beobachtet mich genau, während ich darauf starre.
    »Ich möchte, dass du dir das Bild mit dem Ball anschaust, Martin«, sagt Shakila.
    Ich hebe etwas den Kopf und lasse meine Augen die Tafel absuchen. Ich habe nicht genügend Kontrolle über meinen Kopf, um ihn präzise von einer Seite zur anderen zu bewegen, daher sind die Augen die einzigen Teile meines Körpers, die ich vollkommen beherrsche. Sie gleiten hin und her über die Bilder, bis ich den Ball finde. Ich fixiere ihn mit meinem Blick und starre darauf.
    »Gut, Martin, das ist sehr gut«, sagt Shakila sanft und schaut mich an.
    Plötzlich kommt Angst in mir auf. Blicke ich auf das richtige Bild? Sind meine Augen wirklich auf den Ball gerichtet, oder schauen sie auf ein anderes Symbol? Ich bin mir nicht sicher.
    »Jetzt möchte ich, dass du dir den Hund anschaust«, sagt Shakila, und ich beginne wieder zu suchen.
    Mein Blick wandert langsam über die Bilder, ich will nicht, dass ich einen Fehler mache oder etwas übersehe. Ich suche langsam weiter, bis ich das Bild mit dem Hund auf der linken Seite der Tafel entdecke, und starre darauf.
    »Und jetzt der Fernsehapparat«, sagt sie.
    Das Bild mit dem Fernsehapparat ist schnell gefunden. Obwohl ich meinen Blick starr darauf gerichtet halten möchte, um Shakila zu zeigen, dass ich gefunden habe, worum sie mich gebeten hat, fällt mir plötzlich das Kinn auf die Brust. Ich versuche, nicht in Panik zu geraten, und frage mich, ob ich beim Test durchgefallen bin.
    »Wollen wir jetzt etwas anderes versuchen?«, fragt Shakila, und mein Rollstuhl wird zu einem Tisch geschoben, auf dem lauter Karten liegen.
    Auf jeder Karte sind ein Wort und eine Zeichnung zu sehen. Panik! Ich kann die Wörter nicht lesen. Ich weiß nicht, was sie bedeuten. Wenn ich sie nicht lesen kann, habe ich dann den Test nicht bestanden? Und wenn ich beim Test durchfalle, muss ich dann zurück ins Pflegeheim und dort für immer rumsitzen? Mein Herz beginnt schmerzhaft in meiner Brust zu pochen.
    »Kannst du bitte auf das Wort ›Mama‹ zeigen, Martin?«, fragt mich Yasmin, die andere Sprachtherapeutin.
    Ich weiß nicht, wie das Wort ›Mama‹ aussieht, dennoch starre ich auf meine rechte Hand, weil ich will, dass sie sich bewegt, dass sie wenigstens mit einem kleinen Zeichen vermittelt, dass ich verstanden habe, was von mir verlangt wird. Meine Hand zittert unbändig, als ich versuche, sie von meinem Schoß zu heben. Im Raum herrscht Totenstille, während sich mein Arm langsam in die Luft bewegt, bevor er wild von einer Seite zur anderen ruckt. Ich hasse meinen Arm.
    »Sollen wir es noch einmal versuchen?«, fragt Shakila.
    Ich komme nur erschreckend langsam voran, als ich gebeten werde, Symbole zu identifizieren, indem ich auf sie zeige. Ich schäme mich meines nutzlosen Körpers, und ich bin wütend, dass ich es nicht gleich beim ersten Mal besser machen kann, wenn man mich dazu auffordert.
    Dann geht Shakila zu einem großen Schrank und holt eine kleine rechteckige Scheibe hervor. Darauf befinden sich weitere Symbole, und in der Mitte ist ein roter Zeiger angebracht. Shakila stellt die Scheibe vor mich auf den Tisch, bevor sie einige Drähte anschließt, die aus einer gelben Platte kommen, welche am Ende eines beweglichen Gestells befestigt ist.
    »Hier handelt es sich um eine Wählscheibe und einen Kopfschalter«, erklärt Yasmin. »Du kannst den gelben Schalter benutzen, um den Zeiger auf der Scheibe zu bedienen, sobald er sich dreht. Das heißt, du kannst den Zeiger
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