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Als ich unsichtbar war

Als ich unsichtbar war

Titel: Als ich unsichtbar war
Autoren: Pistorius Martin
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anhalten, wenn du das gewünschte Symbol zeigen willst. Hast du das verstanden, Martin? Kannst du die Symbole auf der Scheibe erkennen? Wenn wir dich bitten, uns ein Symbol zu zeigen, sollst du mit dem Kopf gegen den Schalter stoßen, sobald der Zeiger das Symbol erreicht. Glaubst du, dass du das schaffst?«
    Ich schaue auf die Symbole: Bei einem fließt Wasser aus einem Wasserhahn, ein anderes ist ein Teller mit Keksen, ein drittes besteht aus einer Tasse Tee. Insgesamt gibt es acht Symbole.
    »Ich möchte, dass du den Zeiger anhältst, sobald er den Wasserhahn erreicht«, sagt Yasmin.
    Der rote Zeiger beginnt sich Millimeter für Millimeter auf der Scheibe zu drehen. Er bewegt sich so langsam vorwärts, dass ich mich frage, ob er das Bild des Wasserhahns jemals erreichen wird. Ganz langsam schleppt er sich über die Scheibe, und ich warte darauf, dass er sich dem Wasserhahn nähert. Dann stoße ich mit dem Kopf gegen den Schalter. Der Zeiger stoppt an der richtigen Stelle der Scheibe.
    »Gut, Martin!«, sagt eine Stimme.
    Ich bin total perplex. Noch nie zuvor habe ich irgendetwas bedient. Noch nie habe ich einen anderen Gegenstand dazu gebracht, etwas zu tun, das ich wollte. Ich habe ein ums andere Mal darüber fantasiert, doch ich habe nie eine Gabel zu meinem Mund geführt, nie aus einer Tasse getrunken oder einen Fernsehkanal gewechselt. Ich kann mir nicht die Schuhe zubinden, keinen Ball wegschießen oder Rad fahren. Den Zeiger auf der Scheibe anzuhalten vermittelt mir ein triumphales Gefühl.
    Im Verlauf der nächsten Stunde lassen mich Yasmin und Shakila unterschiedliche Schalter ausprobieren, um herauszufinden, ob es irgendeinen Teil meines Körpers gibt, den ich so weit unter Kontrolle habe, dass ich damit Schalter vernünftig bedienen kann. Mein Kopf, meine Knie und die rebellischen Gliedmaßen werden alle so dicht an die Schalter herangeführt, dass ich versuchen kann, einen Kontakt mit ihnen herzustellen. Zuerst ist da ein schwarzer rechteckiger Kasten mit einem langen weißen elastischen Schalter, der vor mir an der Tischkante angebracht ist. Das Gerät nennt sich ›Wackelschalter‹. Ich hebe meinen rechten Arm und lasse ihn dann in der Hoffnung hinuntersausen, den Schalter zu berühren. Dabei ist mir klar, dass es eher Glück als eine gezielte Aktion ist, wenn ich treffe. Dann gibt es da einen großen gelben Schalter, so groß und rund wie eine Untertasse, auf den ich mit meiner widerspenstigen rechten Hand haue und nur knapp daneben lande, während meine linke Hand absolut unbrauchbar ist. Wieder und wieder fordern mich Yasmin und Shakila auf, die Schalter zu bedienen, um einfache Symbole zu identifizieren: ein Messer, ein Bad, ein Sandwich – die einfachsten Bilder, welche selbst Menschen mit dem niedrigsten Intelligenzgrad bestimmen können. Zuweilen versuche ich, meine rechte Hand zu benutzen, doch meistens starre ich auf das Bild, auf das ich deuten soll.
    Nach einer gefühlten Ewigkeit wendet sich Shakila schließlich an mich. Ich starre angespannt auf ein Symbol, das einen großen gelben Schalter darstellt.
    »Magst du McDonald’s?«, fragt sie.
    Ich weiß nicht, wovon sie spricht. Ich kann meinen Kopf nicht drehen oder lächeln, um Ja oder Nein zu sagen, da ich die Frage nicht verstehe.
    »Magst du Hamburger?«
    Ich lächle Shakila zu, um ihr mitzuteilen, dass ich Hamburger mag, und sie steht auf. Sie geht zum großen Schrank und nimmt einen schwarzen Kasten heraus. Die Oberseite ist durch einen aufliegenden Plastikrahmen in kleine Quadrate unterteilt, und in jedem erkenne ich ein Symbol.
    »Das hier ist eine Kommunikationsvorrichtung, die sich Macaw nennt«, erklärt mir Shakila sanft. »Und wenn du lernst, einen Schalter zu bedienen, dann bist du vielleicht eines Tages in der Lage, eines dieser Geräte zu benutzen.«
    Ich starre auf den Kasten, während Shakila das Gerät einschaltet und in der Ecke jedes Quadrats der Reihe nach langsam ein winziges rotes Licht aufleuchtet. Die Symbole in den Vierecken sind nicht schwarz und weiß wie die auf den Karten. Diese hier sind knallig bunt, und neben ihnen stehen Wörter. Ich erkenne ein Bild mit einer Tasse Tee und die Zeichnung einer Sonne. Ich beobachte Shakila, um zu sehen, was als Nächstes geschieht, und sie betätigt einen Schalter, durch den ein Symbol ausgewählt wird.
    »Ich bin müde«, sagt eine aufgezeichnete Stimme plötzlich.
    Sie kommt aus dem Kasten. Es ist eine weibliche Stimme. Ich starre auf den Macaw. Sollte dieser kleine
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