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Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern
Autoren: Kirsten Winkelmann
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Sie schüttelte den Kopf. „Wenn ich ehrlich bin, mach ich mir große Sorgen um dich. Ich erkenne dich überhaupt nicht wieder. Seit du zurückgekommen bist, beschäftigst du dich nur noch mit deinen Gefühlen und
Wünschen …“ – sie betonte die beiden Worte und begleitete sie mit wegwerfenden Handbewegungen – „… anstatt mal die Ärmel hochzukrempeln und ordentlich zu arbeiten. Glaubst du wirklich, dass Gott so ein Verhalten auch noch belohnt?“
    Lika begann leicht zu zittern und schwankte einen Moment lang regelrecht hin und her, wurde jedoch von Arvin stabilisiert. „Er belohnt jeden Menschen, der aufrichtig nach ihm sucht und ihm gestattet, Einfluss auf sein Leben zu nehmen“, sagte Arvin mit seiner tiefen, angenehmen Stimme. Dann senkte er kurz den Blick, seufzte und sagte: „Auch wenn es bei mir ein bisschen länger gedauert hat … na ja … Aber wie steht es mit Ihnen? Sind Sie ein solcher Mensch?“
    „Ich hab nicht viel Zeit, ihn zu suchen“, fauchte Inge. „Und da mich meine Kinder eines nach dem anderen mit all der Arbeit hier alleine lassen, wird das auch in Zukunft nicht viel besser werden.“
    „Das tut mir leid“, entgegnete Arvin und zog Lika an sich heran. „Aber um es mit den Worten der Bibel zu sagen – vielleicht kennen Sie ja die Geschichte von Maria und Martha: Lika hat das bessere Teil erwählt, und das sollte nicht von ihr genommen werden!“
    Lika legte den Kopf in den Nacken, sah zu Arvin auf und warf ihm einen dankbaren Blick zu. Dann vergrub sie ihr Gesicht an seinem Brustkorb. Für heute hatte sie genug gekämpft. Da konnte es nicht schaden, wenn Arvin den Rest übernahm …

Kapitel 52
    „Wie heißen diese Blumen?“, fragte Vanessa und deutete auf die Pflanzen, die Lika gerade auf Karens Grab setzte.
    „Das sind Tränende Herzen“, antwortete Lika und hielt mit ihrer Arbeit inne. Sie saß mitten auf dem Grab in der schwarzen Erde. Um sie herum war bereits eine Spirale von Blumen entstanden, die zur Mitte hin immer enger wurde. Sie bestand aus Tränenden Herzen in Pink und Weiß, die von der Frühjahrssonne angestrahlt wurden und dadurch märchenhaft schön wirkten.
    „Pflanzt du sie, weil Mamas Herz auch manchmal tränt?“, wollte Vanessa wissen.
    Lika warf dem kleinen Mädchen einen mitfühlenden Blick zu. „Nein, nicht deshalb“, sagte sie. „Mamas Herz weint nicht. Es ist jetzt zu Hause bei Gott. Die Blumen sind für uns. Weil unser Herz noch manchmal weint.“ Sie blickte auf den Grabstein aus anthrazitfarbenem Granit, las Karens Namen und blieb schließlich an den beiden Daten hängen. Karen war so früh gestorben. So furchtbar früh!
    Vanessa schluckte so laut, dass Lika es hörte. „Mama fehlt mir so doll“, sagte sie leise.
    „Mir auch“, seufzte Lika. Sie riss ihren Blick vom Grabstein los und wandte ihn den Blumen zu. Dann hob sie die linke Hand und berührte eine der pinkfarbenen Blüten mit ihrem Zeigefinger. Sie zeichnete die Herzform nach und gelangte zu den weißen Blättern, die unten, an der Spitze des Herzens, herausquollen. Wenn sie hier war, hier bei Karen, dann tränte auch ihr eigenes Herz auf diese Weise.
    „Könnte man die Blüten nicht zukleben?“, fragte Vanessa.
    Lika sah überrascht zu ihr hinüber. „Zukleben? Wie meinst du das?“
    Vanessa kam ein Stück näher und machte Anstalten, zu Lika ins Zentrum der Spirale zu steigen.
    „Tritt nicht auf die Blumen!“, mahnte Lika und breitete gleichzeitig ihre Arme aus.
    Vanessa hob den langen Jeansrock, den sie trug, ein Stück in die Höhe, machte einen großen Schritt und stürzte sich quasi in Likas Arme. Dort angekommen, drehte sie sich vorsichtig um und setzte sich auf Likas Oberschenkel. „Die da“, sagte sie und deutete auf eine pinkfarbene Blüte, die sich noch nicht geöffnet hatte und deren weiße Ausläufer bislang nur zu erahnen waren. „Wenn man sie unten zuklebt, kann sie nicht mehr weinen.“
    Lika wandte den Kopf, weil sie aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung wahrgenommen hatte. Auf dem kleinen Weg, der zu Karens Grab führte, näherte sich Arvin mitsamt zwei grünen Gießkannen. Seinem Gang nach zu urteilen, waren sie randvoll mit Wasser gefüllt. Lika lächelte sanft, verfolgte jede von Arvins Bewegungen und sagte leise: „Aber wenn sie nicht weint, kann die Traurigkeit nicht heraus.“
    „Muss sie denn heraus?“
    Ohne Arvin aus den Augen zu lassen, drückte Lika einen Kuss auf Vanessas Haare. Dabei stieg ihr ein süßer, blumiger Geruch in die
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