Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
dagelassen.
    Auf der Klappe der Schatulle stand auch das Foto des Hausherrn, in weißem Uniformjackett, mit dem Verdienstkreuz auf der Brust, wenn auch ohne Schwerter. «Ist das Ihr Gatte, liebe gnädige Frau?» rief Herr Schünemann Katharina zu. Ja, das war ihr Gatte, allerdings!
    Eberhard von Globig war einer der Fachleute, die halfen, die Versorgung der deutschen Bevölkerung aufrechtzuerhalten, die Ausschöpfung des östlichen Wirtschaftsraums zugunsten des Großdeutschen Reiches. Das lief in diesem Krieg ganz anders als 14/18, als die Deutschen sich von Steckrüben hatten ernähren müssen. Dieses Mal sollte die Bevölkerung nicht unnötig gereizt werden, ein ausreichendes Maß an Ernährung wollte man ihr zukommen lassen. Brot, Butter, Fleisch, und ganze Güterzüge voll Melonen! Die Ukraine, Weißrußland. Da war allerhand zu holen gewesen. Weizen, Sonnenblumenöl und wer weiß was noch alles. Jetzt lagen da allerdings nur noch rauchende Trümmer.
    Katharina erinnerte sich an ein Paar bunt bemalte Holzschuhe, die ihr Eberhard geschenkt hatte, Volkskunst, die hatte sie nie getragen.
     
    «Soso, in der Ukraine», sagte Dr. Schünemann zu Katharina mit Bedeutung. «Gut, daß Ihr Mann jetzt in Italien ist ... Das ist sehr, sehr gut, hören Sie.»
    Er faßte mit kundigem Griff in die Schatulle hinein, befingerte die kleinen Schubladen: ein Geheimfach!
    Ein Geheimfach? Womöglich goldene Gulden oder Schweizer Franken darin? – Nein, das Geheimfach war leer.
     
    Neben Eberhards Foto lag dessen letzter Brief, er war mit einer blauen Luftfeldpostmarke versehen. Schünemann hob den Brief in die Höhe und nahm ihn mit an den Tisch, zog diePetroleumlampe heran: Diese Briefmarke...? – Täusche er sich? Ein Fehldruck? Die rechte Schwinge des abgebildeten Flugzeugs von einer Scharte verunstaltet? Ein Plattenfehler? Nein? Na, dann nicht. Der Schatten seiner Hände huschte über die Wände, wie er den Brief da unter die Lampe hielt.
     
    Daß er den Feldpostbrief beschnupperte, ging ein bißchen zu weit. Hätte nicht viel gefehlt, und er hätte den Brief aus dem Umschlag herausgezogen! Das merkte er schließlich selbst. «Wie kann man nur so indiskret sein», sagte er, «aber die Leidenschaft, der Eifer ... » Er schwang sich wieder zu Katharina hin und erzählte von Menschen, die sich von allerlei Sammelleidenschaften hinreißen ließen, alte Bücher, Münzen, und er wußte sogar von Morden, die von Menschen begangen worden waren, um ihre Sammlungen zu vervollständigen! Der Magister Tinius, der in Leipzig eine vermögende Witwe erschlagen hatte. Alles ein paar alter Bücher wegen ...
    Mit der Krücke gestikulierte er, und der Feuerschein warf sehr seltsame Schatten an die Wand.
    Die Jagdtrophäen an der Wand, diese Dinger, eine neben der anderen, die hätten ja auch mit Sammeln und mit Morden zu tun!
     
    Katharina dachte an die Weizentransporte, die ihr Mann abgefertigt hatte, Jahr um Jahr, und an die Güterzüge mit Muttererde, die von der Ukraine nach Bayern geschafft worden waren. Die Humusschicht der fetten Äcker stellenweise ein Meter dick! Abgeschält und in langen Güterzügen nach Bayern geschickt.
    Hin und wieder hatte Eberhard auch privat etwas abzweigen können, braunen Zucker zum Beispiel, einige Zentner braunen Zucker.
    Und nun war er in Italien und sorgte für Beschlagnahme und Abtransport von Wein und von Olivenöl.
    Katharina erhob sich mit ihren langen Gliedmaßen, und sie richtete im Aufstehen ihr Haar. Schwarze Jacke, schwarze Hosen, Stiefel! Sie stellte dem Gast eine Schale mit Pfeffernüssen hin, vom Weihnachtsfest übriggeblieben.
    Die doch nicht, mochte die Tante denken, das waren doch die guten, aber sie ließ es hingehen, handelte es sich bei dem Gast doch immerhin um einen Akademiker.
    «Sie sind Professor?» fragte sie.
    «Nein, Professor bin ich nicht. Ich bin Nationalökonom.» Er wär’ lieber Tischler geworden oder Grafiker ...
     
    Der Gast legte den Brief zurück und entschuldigte sich für seine Indiskretion: Wenn er Briefmarken sehe, vergesse er alles um sich herum. Auch er sei nämlich ein Sammler, seine Leidenschaft sei die Philatelie ... Und dieses Stück hier ... wenn ihn nicht alles täusche ...
    Er langte sich seine Ledertasche und nahm ein Briefmarkenalbum heraus, das dort zwischen Unterhosen und Hemden steckte. Er blätterte es auf und sagte, er sammle nur das Feinste, nur das Beste! Altdeutschland sei sein Spezialgebiet. Und dieses Album hier, das habe er in Harkunen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher