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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst
Autoren: Walter Kempowski
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    Peter ging ein letztes Mal durch die leeren Straßen und dann zum Hafen hinunter.Am Fußballplatz ging er vorüber, auf dem Hausrat stand, Möbel, Nähmaschinen, Standuhren, alles der Größe nach geordnet, auch eine einzelne Ziege, an einen Kinderwagen gebunden.
    Aufgeregte Parteimenschen notierten, was hier alles stand, wievielKlaviere und Sessel, und sie kontrollierten einzelne Passanten, was sie hier zu suchen haben, Heil Hitler.
    Soldaten wurden herumkommandiert. Sie empfingen Waffen. «Ohne Tritt, marsch!» hieß es, und dann wurden sie den Russen entgegengeschickt. Auch Hitlerjungen waren dabei mit tapferem Gesicht.
     
    Peter traf so mancher Blick. Kann dieser blonde Junge da drüben nicht ebenfalls eine Panzerfaust tragen? Es galt schließlich, die Heimat zu verteidigen? He, du, komm mal her? Auf Leben und Tod?
    Nun, Volk, steh auf; nun, Sturm, brich los? – Frisch auf, mein Volk, die Flammenzeichen rauchen?
     
    Nein, für Peter hatte man nur wegwerfende Gesten übrig, zwar blond, aber doch wohl noch zu jung.
     
    Am Hafen stand eine Mauer schweigender Menschen, die alle darauf warteten, daß ein Wunder geschieht und noch ein Boot kommt und sie auf das letzte Schiff holt, das auf der Reede lag, eine graue Silhouette, ausgeschnitten aus grauem Karton. Jeder hoffte für sich allein auf dieses Wunder, und alle zusammen drängten sie ans Wasser, um für sich dieses Wunder wahr zu machen. Aufs Schiff! Über die See! Nach Dänemark ... Vielleicht haben wir ja Glück? Erdbeeren mit Schlagsahne, warum nicht?
    Sie hatten sich aufgestellt wie zum Jüngsten Gericht und warteten auf den Urteilsspruch.
     
    Peter drängte sich zwischen die Menschen, das Mikroskop fest unterm Arm, das Fernglas und die Luftpistole, und er schaffte es, allmählich weiter nach vorn zu kommen.
    «Es hat keinen Zweck, mein lieber Junge», sagte eine Frau mit links und rechts einem Kind an der Hand, «hier kommst du nicht durch.» Aber Peter ließ nicht locker, und endlich stand er vorn am Wasser.
     
    Eine letzte Barkasse fuhr am Kai entlang, Menschen standen dicht an dicht auf dem Boot, die Zehenspitzen an der äußersten Bordkante.
    Sie fuhr vorüber, die Heckwelle beschrieb einen Halbkreis. Und da sah Peter den Herrn Drygalski auf dem Boot stehen mit seinen braunen Schaftstiefeln; vorn, gleich neben dem Matrosen, der die Barkasse steuerte, da stand er. Im selben Augenblick sah auch Drygalski Peter, und er zeigte auf ihn und sagte etwas zu dem Matrosen, und tatsächlich, der steuerte dicht an den Kai heran. Drygalski sprang heraus, zwischen die Menschen – die wichen zurück und schrien «Nein!» –,das ging ganz schnell, er schob Peter auf die Barkasse, und er selbst blieb zurück.
    Winkte er ihm noch?
    War nun alles gut?
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