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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst
Autoren: Walter Kempowski
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Deichseln hin und her. Alle diese Wagen wurden ordnungsgemäß registriert und für die Rückkehr der Flüchtlinge mit Kreide numeriert.
    Einstweilen lagen die Menschen noch in einem Kinosaal auf Stroh und machten sich Gedanken. (Mit Schiffen sollten sie fortgebracht werden?) Wenn das so war, dann hätte man den langen Weg aus der Heimat ja nicht mit all dem Hab und Gut zu machen brauchen. Eben noch die Aktentasche vom Wagen holen? Nein, das konnte nicht gestattet werden.
    «Ich muß nach meinen Pferden sehen ... »
    Vor dem Kino stand Volkssturm und ließ keinen mehr raus.
     
    Auf dem Balkon über dem Portal des Rathauses erschien ein Herr, der Lothar Sarkander hieß, hinter sich die zerschossene Uhr. Er stützte sich auf die Balustrade und hielt über die leeren Fuhrwerke hinweg eine Ansprache. Mit großen Gesten und heiserer Stimme rief er Parolen, die niemand hörte. «Tut Buße», so in dieser Art. «Kehret um! »
    Wenn ich wüßt’,
    wen ich geküßt,
    um Mitternacht am Lido ...
     
    Da zog man ihn auch schon am Ärmel zurück ins Haus, dieser Mann hatte offensichtlich den Verstand verloren. Dieser Mann mußte abgetan werden.
     
    In einer Seitengasse stand ein Lastwagen der Wehrmacht. Hier wurde gerade die Vogtei ausgeräumt, ein sehr altes bauchiges Gebäude mit gotischen Fenstern, das der Stadt als Museum diente. Die Ladeklappe war heruntergelassen, und Soldaten trugen vorsichtig alte Truhen und Gemälde aus dem Haus. – Man hatte die Vogtei schon abreißen wollen, im 19. Jahrhundert. Aber dann war gesagt worden, als Museum können wir sie noch gebrauchen.
     
    Während Dr. Wagner eine Apotheke suchte, um Hämorrhoidensalbe zu beschaffen, ging Peter hinein in das alte Gebäude. – «Warte auf mich, ich komme gleich nach!» – Im Vorraum ein großes Nagel-Kreuz aus dem Ersten Weltkrieg: Die Heimat reicht der Front die Hände: schwarze Nägel hatten fünf Mark, goldene zehn Mark gekostet. Hier war es um Geld gegangen, für das man Munition kaufen und Kanonen bauen wollte, nicht um Tote. Ein Zeugnis aus großer Zeit.
     
    An der Wand ein gerahmtes Jubiläumsschreiben des deutschen Dichters Gotthardt Freiherr von Erztum-Lohmeyer, der darin anzeigte, daß er sich bedankt für die Ehrenbürgerschaft und daß er als Dank seiner Heimatstadt seine Bibliothek vermachen will und all seine Manuskripte, nach seinem Tod.
     
    Der Museumsdirektor, Heil Hitler, ein alter Herr mit Kneifer und Parteiabzeichen, sah der Räumung des Hauses zu, er ging von einem zum andern, der rang die Hände. «Um Gottes willen, vorsichtig!» rief er. Aber zu Wutausbrüchen kam es nicht, sie hätten leicht mißdeutet werden können.
     
    In einer Halle – das war wohl mal der Gerichtssaal gewesen, Halseisen hingen an der Wand – standen Vitrinen, die bereits leergeräumt waren. Seltene Bücher hatten sie enthalten, in aufgeschlagenem Zustand, Münzen, Siegel und Urkunden. – Mahlsteine aus vorgermanischer Zeit waren in den Korridoren aufgereiht, zentnerschwer – kündeten sie nicht vom kargen Leben der Vorväter? –, Getreide zu Mehl zerstoßen oder Pulver vermischen zum Schießen? – Die ließ man wegen ihres Gewichts stehen, wie wertvoll sie auch sein mochten, aber die runden Stößel packte man ein. Wer auch immer die Mahlsteine erbeuten würde, ohne die Stößel würde er nichts mit ihnen anfangen können.
    Auch den aus Geweihen gefertigten Leuchter unter der Decke ließ man hängen, 17. Jahrhundert? Der hatte seine Zeit gehabt.
    Aber die Majolika-Sachen mitnehmen, die nicht vergessen. «Immer schön vorsichtig!»
     
    Gemälde wurden hinausgetragen, eines nach dem anderen, winzige Blumenstücke, kleine Heimatsachen und «Die Schlacht beiTannenberg», ein großes Bild, das anderswo gewiß als Schinken bezeichnet worden wäre. Rasende Meldereiter waren darauf abgebildet auf sich bäumenden Pferden. Pickelhaubensoldaten, zum Feind hin schießend, Granateinschläge gleichmäßig verteilt. Tote Russen und verwundete Deutsche. Im Vordergrund zwei Feldherren, deutlich zu erkennen. Der eine wies auf eine Landkarte vor sich auf dem Tisch, der andere stimmte zu. Am von Schrapnells gesprenkelten Himmel flogen Rumpler Tauben, die griffen in den Kampf ein, wenn’s irgend ging. Die feindlichen Flugzeuge erkannte man daran, daß sie gerade abstürzten. – Das Gemälde hatte einen Hakriß: «Das sind wir nicht gewesen!» sagten die Soldaten, die die Bilder hinaustrugen, «das war schon.»
    Links von der Tür hing das Porträt einer
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