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Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Titel: Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)
Autoren: Hilal Sezgin
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Einleitung
    Meine Beschäftigung mit der Tierethik begann 1982. Es war eine Zeit von Zukunftsangst und Sonnenblumen. Kurz zuvor hatte sich die Partei der Grünen gegründet, und Ronald Reagan beschwor das Schreckensszenario von sowjetischen Mittelstreckenraketen herauf, die es kaum abwarten könnten, Europa zu verwüsten. Ganz generell begann man zu ahnen, dass die Menschheit im Zuge von Industrialisierung und Technologisierung einige, sagen wir es höflich, recht unbedachte Entscheidungen getroffen hatte.
    Von dieser allgemeinen Stimmung untergründig getragen, aber im Konkreten davon anscheinend unbeeinträchtigt, spazierte ich zwölfjährig an einem Sommertag auf eine Weide (wir lebten in einer Kleinstadt im Vordertaunus) und verbrachte mehrere glückliche Stunden damit, die schwarzweißen Kühe dort zu zeichnen. Als Vegetarierin kehrte ich am Abend nach Hause zurück.
    Daran ist zweierlei erstaunlich: Erstens konnte und kann ich kein bisschen zeichnen. Weder einen Menschen noch eine Katze noch eine Kuh. Die Kühe ihrerseits taten nicht besonders viel, als in der Sonne herumzuliegen und wiederzukäuen. Und das ist das zweite Überraschende: dass ich an jenem Nachmittag zu einer neuen Überzeugung gelangte, obwohl die den Anstoß gebenden Kühe weder außergewöhnlich waren noch die ersten Kühe, die ich je zu Gesicht bekam. Auch vielen anderen Tieren hatte ich bereits beim Herumliegen zugesehen oder ihnen in die Augen geblickt; aber vielleicht war es das ausdauernde Beobachten während des Zeichnens, das mir plötzlich klar werden ließ: So etwas kann ich nicht weiterhin essen.
    Hier, bei der Sprache, fangen die Probleme bereits an. Dachte ich wirklich: «so etwas» könne ich nicht essen? Auch wenn ich nicht glaube, durch neue Sprachgewohnheiten allein lasse sich die Welt verändern, stolpere ich über diese Formulierung. Tatsächlich ist ein Tier doch eher ein «Jemand», ein Individuum. Allerdings klänge auch das irgendwie merkwürdig oder gestelzt: «so jemanden» kann ich nicht essen. Am nächsten kommt man dem Gedanken vielleicht mit dem Satz: Diese Kuh ist gar kein «Etwas», sondern ein «Jemand»; also will ich keine Kühe mehr essen. Meine Mutter, die Köchin in unserer Familie, war übrigens gar nicht so entsetzt, wie man meinen könnte; wenig später wurde auch sie zur Vegetarierin, zwei Jahre darauf mein Vater.
    Was ich damals nicht wusste: Auch in der Philosophie hatte bereits eine Debatte darüber begonnen, ob man Tiere essen, töten oder Tierversuchen unterziehen dürfe. Wegweisend waren vor allem Bücher aus dem angelsächsischen Raum wie
Animal Liberation
(1975) von Peter Singer,
Animals and Why They Matter
(1983) von Mary Midgley und
The Case for Animal Rights
(1983) von Tom Regan. Das erste bedeutende deutschsprachige Werk folgte 1990 mit
Das Tier in der Moral
von Ursula Wolf. Neben diesen akademisch-philosophischen Herangehensweisen gab es zahllose Diskussionen der beginnenden Tierrechtsbewegung, diverser Initiativen gegen Tierversuche und eben solcher Kuh-auf-Weide-Vegetarier wie mir. Es ist phänomenal, wie sich der Zeitgeist bisweilen in eine bestimmte Richtung zu bewegen beginnt, ohne dass die Einzelnen, die von ihm erfasst werden, überhaupt voneinander wissen.
    Ich erfuhr von diesen frühen tierethischen Ansätzen erst Anfang der 1990er Jahre während meines Philosophiestudiums, und seitdem hat sich die Lage ohnehin deutlich gewandelt: Wer heute über unseren menschlichen – oder meist ja doch unmenschlichen – Umgang mit den Tieren nachdenkt,steht nicht mehr allein auf weiter Flur. Vorbei die Zeiten, als die Tierethik eine eher exotische Teildisziplin der Philosophie war; vorbei die Zeiten auch, als sich nur Vegetarier oder Veganer für das Innere der Mastställe interessierten. Längst gibt es auch bei der breiten Bevölkerung Westeuropas Interesse an der Thematik und einen enormen Zuwachs an Wissen. Und deswegen muss dieses Buch nicht ganz vorne anfangen: also bei Berichten von federlosen Hühnern, die im eigenen Kot hocken, von Milchkühen mit entzündeten Eutern, von Schweinen, die nicht richtig «abgestochen» wurden und daher im kochend heißen Brühbad einen langsamen, qualvollen Tod erleiden.
    Wir alle haben Artikel darüber gelesen und Reportagen im Fernsehen gesehen, jeder von uns kann furchtbare Bilder vor seinem inneren Auge abrufen, was alles mit Tieren in der modernen Landwirtschaft gemacht wurde und wird. Hervorragende Bücher wie Jonathan Safran Foers
Tiere
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