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Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Titel: Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)
Autoren: Hilal Sezgin
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anderer Spezies entsprechend dem eigenen vertrauten Muster fehlzuinterpretieren.
    Allerdings besteht die Gefahr der Fehlinterpretation in beide Richtungen – dass wir Tieren intensive Gefühle unterstellen, wo sie möglicherweise keine (oder andere) haben; und dass wir übersehen, was für Tiere bedeutsam sein mag, eben weil es in unserer Welt nicht vorkommt. Der amerikanische Philosoph Steve F. Sapontzis hat dazu einmal geschrieben: «Ein Leben, das für uns hart und langweilig aussieht (zum Beispiel das eines Bibers), kann von denen, die es leben, als freudvoll und erfüllend wahrgenommen werden.»[ 9 ] Ich finde dieses Biber-Beispiel charmant, zumal ich zwar in der Sache sehr wohl, im Fall des Bibers aber nicht unbedingt Sapontzis’ Meinung bin. Gut, die eigenen Zähne in Kontakt mit einem Baumstamm zu bringen, diesen Wunsch verspüren die wenigsten Menschen. Aber das Bauen von Staudämmen? Einen Gutteil meiner Kindheit habe ich damit verbracht, Bäche zu stauen und Spazierwege zu fluten. Ich versichere, dass das auch für einen Menschen eine sehr erfüllende Tätigkeit sein kann, und ich nehme an, Wasserbauingenieure sehen es ähnlich. Und wenn man noch dazu in der Mitte des Stausees eine Burg mit einem geheimen Zugang hätte …
    Aber genau das wäre in der Tat vermenschlichend: zu denken, ein Biber empfände beim Stauen eines Baches und beim Bauen der Burg dieselbe Art kindlich-aufgeregter Freude wie ich. Sapontzis hat natürlich recht damit zu sagen, dass es für einen Biber sicherlich erfüllend ist, am Fluss nagen und fällen und schalten und walten zu können, wie er will. Dennoch ist es gewiss nicht dieselbe Art kindlicher Freude, an die ich mich zurückerinnere und die ich mit gelben Gummistiefeln assoziiere.
    Doch welche Freude empfindet der Biber wohl? In einem bereits legendären Aufsatz zur Philosophie des Geistes hat der amerikanische Philosoph Thomas Nagel 1974 darüber geschrieben, warum wir Menschen nie genau werden wissen können, wie es sich anfühlt, eine Fledermaus zu sein, die sichper Echolot orientiert. Dieser Beitrag war nicht gegen Fledermäuse, sondern gegen eine gewisse Anmaßung der Naturwissenschaften gerichtet. Denn egal was die Biologie und Neurowissenschaften über Echolot und Fledermausgehirn in Erfahrung bringen werden, egal, wie sehr wir von außen in der Lage sein werden, solches Geschehen physikalisch zu verstehen – die Innensicht bleibt uns verschlossen. Dabei leugnet Nagel nicht, dass die Fledermaus eine solche Innensicht besitzt; im Gegenteil, diese Sorte mentaler Zustände ist sogar dadurch definiert, dass sie sich für das betreffende Wesen auf eine bestimmte Weise anfühlt.[ 10 ] Wir wissen von außen,
dass
sich eine Wahrnehmung per Echolot irgendwie anfühlt – aber nicht,
wie.
    Diese Erkenntnisgrenzen sind beim Echolot und überhaupt beim Fliegen ohne technisches Gerät offensichtlich. Aber was ist mit biologischen Funktionen, die uns näher sind, und bei Lebewesen, die mit uns auch näher verwandt sind? Wie es für ein durstiges Tier ist, nach langer Zeit wieder zu trinken, diese Erleichterung und Befriedigung können wir uns vorstellen. Tatsächlich bereitet es vielen Menschen tiefe Befriedigung, bedürftigen Tieren Nahrung und Wasser anzubieten. Vielleicht sind es zum Teil die vor gut zwei Jahrzehnten entdeckten Spiegelneuronen, die es Menschen und anderen Primaten ermöglichen, körperliche und seelische Zustände von anderen mitzuvollziehen; denn diese Spiegelneuronen haben ihren Namen genau darum erhalten, weil sie im Hirn aktiv werden, wenn eine Handlung bei einem anderen Wesen nur beobachtet wird. Vielleicht liegt darin nicht nur eine Quelle für Empathie mit Angehörigen der eigenen Art, sondern auch für Ubersetzungsleistungen zwischen den Spezies.
    Hühner und Gänse zum Beispiel können nicht wie wir saugen oder schlürfen, sondern schöpfen mit dem Schnabel aus Gefäß oder Pfütze und lassen das Wasser die Kehle hinunterrinnen. Wir wissen nicht, wie es ist, einen Schnabel undeinen langen Hals zu haben, durch den das Wasser fließt; und doch dürfen wir wohl sagen, wir haben eine deutliche Ahnung davon, was der trinkende Vogel fühlt. Das, was wir dabei empfinden (spiegeln), mag nicht exakt dasselbe sein, aber es ist in der «Übersetzung» ähnlich genug.
    Neulich machte ein Videoclip aus einer österreichischen Schweinezucht im Internet die Runde. Es zeigte eine kleine Truppe freilaufender Schweine, die offenbar nach Belieben Wiesen und Weiden nutzen
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