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Der ungezähmte Highlander

Der ungezähmte Highlander

Titel: Der ungezähmte Highlander
Autoren: Hannah Howell
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    Schottland, Frühling 1475
    Warum steht ein Engel neben Bruder Matthew?, dachte Liam, als er durch seine dichten Wimpern die zwei Gestalten betrachtete, die sorgenvoll auf ihn heruntersahen. Und warum konnte er seine Lider nicht aufheben? Dann setzte der Schmerz ein, und Liam begann zu stöhnen. Bruder Matthew und der Engel kamen näher.
    »Glaubst du, dass er es überlebt?«, fragte Bruder Matthew.
    »Aye«, erwiderte der Engel. »Auch wenn es ihm vermutlich noch ein Weilchen lieber sein würde, es nicht getan zu haben.«
    Wie seltsam. Die Stimme dieses Engels ließ Liam an eine in sanftes Kerzenlicht getauchte Schlafkammer denken, an weiche, nackte Haut und dicke Felle. Er versuchte, die Hand zu heben, doch selbst diese winzige Bewegung löste unerträgliche Schmerzen aus. Er hatte das Gefühl, als hätte ihn ein Pferd niedergetrampelt, vielleicht auch mehrere. Sehr große Pferde.
    »Er ist ein hübscher Bursche«, sagte der Engel und streichelte mit einer kleinen, sanften Hand Liams Stirn.
    »Woher willst du das wissen? Er sieht aus, als ob ihn jemand in den Boden genagelt hätte und dann mit einer Herde Pferde über ihn hinweggeritten wäre.«
    Bruder Matthew und er hatten oft ähnliche Gedanken. Er gehörte zu den wenigen Männern, die Liam vermisst hatte, nachdem er das Kloster verlassen hatte. Jetzt vermisste er die weiche Hand des Engels. Auch wenn sie nur kurz seine Stirn gestreichelt hatte, schien diese sanfte Berührung seinem Schmerz die Schärfe genommen zu haben.
    »Stimmt«, erwiderte der Engel. »Trotzdem kann man sehen, dass er groß, sehnig und wohlgebaut ist.«
    »Solche Dinge sollten dir nicht auffallen.«
    »Meine Güte, Cousin, ich bin doch nicht blind!«
    »Das mag sein, aber trotzdem schickt es sich nicht. Und du weißt, dass er sich momentan nicht in bester Verfassung befindet.«
    »Wohl wahr. Aber wenn er wiederhergestellt ist, sieht er bestimmt blendend aus, oder? Vielleicht sogar so gut wie unser Cousin Payton, was meinst du?«
    Bruder Matthew schnaubte verächtlich. »Besser. Um ehrlich zu sein, habe ich deshalb auch nie gedacht, dass er bei uns bleiben würde.«
    Warum sollte sein Äußeres jemanden auf den Gedanken bringen, dass er für das Leben im Kloster nicht geschaffen war? Liam fand das ungerecht, konnte seine Meinung aber nicht kundtun. Trotz seiner Schmerzen konnte er klar denken. Es wollte ihm nur nicht gelingen, seine Gedanken in Worte zu fassen oder sich zu bewegen, um zu verdeutlichen, dass er das Gespräch mitbekam. Obwohl er sie durch seine Wimpern hindurch ansehen konnte, waren seine Lider offensichtlich nicht weit genug aufgeschlagen, um die beiden wissen zu lassen, dass er wach war.
    »Du glaubst also nicht, dass er sich wirklich berufen gefühlt hat?«, fragte der Engel.
    »Nay«, erwiderte Bruder Matthew. »Er beschäftigte sich zwar gern mit Büchern, und er besitzt auch eine rasche Auffassungsgabe, aber wir konnten ihm hier nicht viel beibringen. Wir sind nur ein kleines Kloster, nicht reich, und keine große Bildungsstätte. Außerdem glaube ich, dass es ihm hier zu still und zu friedlich war. Er hat seine Familie vermisst. Da ich ein paar seiner männlichen Blutsverwandten kennengelernt habe, kann ich das gut verstehen. Es sind alles laute – na ja, ziemlich wilde Burschen. Das Studium hat Liams Ruhelosigkeit eine Weile gebremst, aber letztlich nicht ausreichend. Ich glaube, das stille, täglich gleichbleibende Ritual, die Eintönigkeit des Tagesablaufs hat auf sein Gemüt gedrückt.«
    Liam war überrascht, wie gut sein alter Freund ihn kannte und verstand. Er war tatsächlich ruhelos gewesen, und er war es in gewisser Weise noch immer. Die Ruhe im Kloster, der starre Tagesablauf des klösterlichen Lebens hatten begonnen, ihn niederzudrücken und ihn eher erstickt als gestützt. Und seine Familie hatte er wirklich sehr vermisst. Einen Moment lang war er froh, dass er nicht reden konnte, denn er fürchtete, dass er sonst wie ein verzweifeltes Kind nach seinen Verwandten gefragt hätte.
    »Es ist bestimmt nicht leicht«, sagte der Engel. »Es hat mich sehr gewundert, dass du dich so gut in dieses Leben eingefügt hast. Aber du fühlst dich tatsächlich berufen, oder?«
    »Aye«, erwiderte Bruder Matthew schlicht. »Das habe ich sogar schon als Kind getan. Aber glaub ja nicht, dass ich euch nicht vermisse, Keira. Manchmal tue ich das sogar schmerzlich, obgleich unsere Bruderschaft auch eine Art Familie ist. Dennoch werde ich euch vielleicht bald einmal besuchen.
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