Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Titel: Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)
Autoren: Hilal Sezgin
Vom Netzwerk:
essen,
Karen Duves
Anständig essen
und Andreas Grabolles
Kein Fleisch macht glücklich
zeigen den hässlichen Weg vom Tier zum Fleisch, zur Milch, zum Ei auf.
    Doch mir scheint, als wüssten wir – als Individuen wie auch als Gesellschaft – immer noch nicht recht, was wir mit diesem Wissen anfangen sollen. Ich nehme an, die wenigsten von uns möchten, dass der Verzehr ihrer Lieblingsspeisen gesetzlich verboten wird – aber wir wollen auch nicht in einer Welt leben, in der der «Lieferant» der Lieblingsspeise nie Tageslicht gesehen und seine letzten Stunden während des Transports in Angst und Panik verbracht hat. Weder wollen wir ständig Gruselbilder von malträtierten Puten mit gebrochenen Flügeln sehen, wenn wir den Fernseher einschalten, noch wollen wir wissen oder dunkel ahnen, dass derlei ständig passiert, auch wenn niemand es filmt.
    Irgendwie stecken wir in einer Sackgasse, weil das, was derzeit offenbar legal ist oder am Rande der Legalität als Routine geduldet wird, so gar nicht unseren moralischenVorstellungen und unserem Bild von einer zivilisierten Gesellschaft entspricht. Denn eine zivilisierte Gesellschaft heißt ja auch: eine relativ gewaltfreie Gesellschaft. Eine, in der physische Gewalt und das Zufügen von Leid auf ein Minimum reduziert sind. Damit müsste auch die Gewalt gegenüber Tieren gemeint sein, aber gerade diese Art von Gewalt ist keineswegs gezähmt, sondern höchstens versteckt: Sie findet hinter geschlossenen Fenstern und Türen statt, damit sie der empfindsame Normalbürger nicht täglich sieht.
    Vor allem nicht in der Stadt. Ich selbst zog 2007 aufs Land, übernahm von den Nachbarn eine kleine Schafherde und wurde so unvermittelt von der Theoretikerin («Ich mag Tiere!») zur Praktikerin («Wo ist die Klauenschere? Halt still, Schaf!»). In meiner Umgebung lernte ich Landwirte kennen, Jäger, Tierärzte; ich schaute in Hühnerställe und in Schweinebuchten; ich sprach mit Agrarwissenschaftlern, Rinderzüchtern und Tierschützern. Ich besuchte Biohöfe und insbesondere einen eigentlich vorbildlichen mittelgroßen Hof, von dem ich bisher immer Milch und Joghurt gekauft hatte. Das sollte ein ganz normaler Ausflug werden, ich wollte einfach nur wieder einmal Kühe angucken – aber was ich dort sah, hat sich mir auf unangenehme Art ins Gedächtnis eingebrannt. Auch dort wurden die Kälber nämlich ihren Müttern weggenommen, standen in kleinen Hütten aus Plastik, schrien die Mütter vom Stall her nach ihren Kindern. Dieses Bild stand in so deutlichem Kontrast zu den agilen Schafen und lebensfrohen Lämmern auf meinem eigenen Hof. Mir wurde plötzlich klar, dass man einer Säugetiermutter im Grunde nichts Schlimmeres antun kann, als ihr das Kind wegzunehmen (und umgekehrt), und dass unser heutiger Milchkonsum genau das zur Voraussetzung hat.
    Während mich diese Bilder immer stärker beschäftigten, stieß ich mich immer öfter an eigenen Überzeugungen, Annahmen und «Lösungen», die ich seit langem unhinterfragt beibehalten hatte, die aber genau besehen nicht mehr passten– so zum Beispiel der Vegetarismus. Auch als Vegetarierin nämlich kaufte ich ja noch die Milch der unglücklichen Kuh von jenem Bauernhof. Das hieß in der Konsequenz wohl, dass ich noch einen Schritt weiter gehen musste. Aber wie weit, und wo würde ich da hinkommen? Ich nahm meine Beschäftigung mit der Tierethik wieder auf und wollte mit ihrer Hilfe mehr Stimmigkeit und Klarheit in meine Gedanken bringen.
    Die Philosophen und Philosophinnen, die in den 1970er und 1980er Jahren über unsere Pflichten gegenüber Tieren nachzudenken begannen, mussten sich oft noch rechtfertigen: Warum sollten Tiere moralisch überhaupt zählen? Zu viele Jahrhunderte der europäischen Geistesgeschichte hatten Tiere wie selbstverständlich außerhalb unseres moralischen Verantwortungsbereichs gestanden. Die Philosophie der Aufklärung – also etwa die von Hobbes, Rousseau und Kant – hatte Moral als etwas angesehen, das nur vernunftbegabte Wesen anderen vernunftbegabten Wesen schulden. (Tatsächlich dachte man vornehmlich an erwachsene und ökonomisch selbständige Bürger.) Auch in der Biologie wurden, allem Darwinismus zum Trotz, bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Tiere als das ganz Andere des Menschen beschrieben: entweder als seelenlose und von blinden Instinkten gesteuerte Organismen oder gewissermaßen als unvollkommene Vorstufe zum Menschen, der vor allem das fehle, was uns auszeichne, also Sprache und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher