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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst
Autoren: Walter Kempowski
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fuhren sie davon.
     
    Die beiden Globigs hatten einen Sohn, dem sie den Namen Peter gegeben hatten: schmaler Kopf, gekräuseltes blondes Haar. Er war zwölf Jahre alt: still wie die Mutter und ernst wie der Vater.
     
    Krauses Haar – krauser Sinn, sagten die Leute, wenn sie ihn sahen, aber daß es blond war, das Haar, machte alles wett. Seine kleine Schwester Elfie war vor Jahren an Scharlach gestorben, das Zimmer stand noch immer leer, das ließ man unangetastet, mit der Puppenstube, die nun schon Staub angesetzt hatte, und dem Kaspertheater. Alle ihre Sachen hingen noch in dem mit aufgemalten Blumen verzierten Kleiderschrank.
     
    Jago, der Hund, und Zippus, der Kater. Pferde, Kühe, Schweine und eine große Hühnerschar mit Richard, dem Hahn.
    Sogar ein Pfau war vorhanden, der hielt sich immer etwas abseits.
     
    Katharina, die schwarze Schönheit, ganz in Schwarz, strich dem Jungen übers Haar, und Peter hatte es gern, wenn ihm die stille Mutter übers Haar strich, aber seit kurzem wehrte er sich denn doch dagegen mit einem energischen Kopfruck. Lange blieb Katharina nie bei dem Jungen stehen, sie ließ ihm seine Ruhe, sie selbst wollte ja auch ihre Ruhe haben.
     
    Zur Familie gehörte noch das «Tantchen», ein ältliches Fräulein, sehnig, mit Warze am Kinn. Sommers lief sie in einem labberigen Waschkleid durch das Haus, stets auf Trab! Jetzt trug sie wegen der Kälte eine Männerhose unterm Rock und zwei Strickjacken. Seit Eberhard als Sonderführer «im Felde stand», wie es ausgedrückt wurde, obwohl er doch nur in der Etappe zu tun hatte, sorgte sie für Ordnung auf Georgenhof. Ohne sie wäre es nicht gegangen. «Es ist alles nicht so einfach ... », sagte sie, und damit meisterte sie den Tag.
    «Die Küchentür muß zugehalten werden!» rief sie durchs Haus, das habe sie auch schon tausendmal gesagt. «Das zieht doch durch alle Zimmer!» Dagegen könne man nicht «anheizen».Über die Kälte klagte sie, warum war sie bloß in Ostpreußen gelandet? Weshalb um Himmels willen war sie nicht nach Würzburg gegangen, damals, als sie noch die Wahl hatte?
    Im Ärmel steckte ein Taschentuch, das sie immer und immer an die rote Nase führte. Es war alles nicht so einfach.
     
    Mit Kriegsausbruch versiegte der Fluß des Geldes: englische Stahlaktien? Reismehlfabrik in Rumänien? Da war es gut, daß Eberhard den Posten in der Wehrmacht bekommen hatte. Ohne das Gehalt, das er bezog, wäre es nicht gegangen. Die paar Morgen Land, die noch übrig waren, drei Kühe, drei Schweine und Geflügel schafften ein gutes Zubrot, aber man mußte dafür sorgen! Von nichts kam nichts!
    Wladimir, ein nachdenklicher Pole, und zwei muntere Ukrainerinnen hielten den Betrieb in Gang. Die korpulente Vera und Sonja, ein blondes Mädchen mit Kranz um den Kopf. Um die Eichen kreisten Krähen, und in den Vogelhäuschen, die jetzt im Winter ziemlich regelmäßig beschickt wurden, holten sich «Piepmätze» ihr Teil. «Piepmätze», das war ein Ausdruck, den Elfie gebraucht hatte, nun schon zwei Jahre tot.
     
    Die Eheleute hatten sich, als das Geld noch reichlicher floß, im ersten Stock eine gemütliche Wohnung eingerichtet, drei Zimmer, Bad und kleine Küche. Ein Wohnzimmer mit Blick auf den Park, warm und gemütlich, hier konnte Katharina Briefe schreiben oder Bücher lesen. Und wenn Eberhard kam, war man ungestört. Da konnte man «die Tür hinter sich zumachen», wie das genannt wurde. Da brauchte man nicht immerfort mit dem Tantchen zusammenzusitzen, unten in der Halle, die sich in alles einmischte und alles besser wußte. Die dauernd aufstand, um noch was zu holen, und sitzenblieb, wenn es störte.
    Jetzt im Januar 1945 stand in der Halle noch der Weihnachtsbaum. Peter hatte ein Mikroskop geschenkt bekommen, von seiner Patentante in Berlin. Er saß in der schummrigen Halle, an einem Tisch unweit des rieselnden Tannenbaums. Durch den Tubus sah er sich alles mögliche ganz genau an, Salzkristalle und Fliegenbeine, ein Stück Faden und die Spitze einer Stecknadel. Neben sich hatte er ein Notizbuch gelegt, und darin notierte er seine Beobachtungen: «Donnerstag, den 8. Januar 1945: Stecknadel. Vorne schartig.»
    Seine Füße hatte er in eine Decke gehüllt, da es zog. In der Halle zog es immer, weil der Kamin mit seinen brennenden Scheiten Luft ansog und weil «stets und ständig» die Küchentür offenstand, wie das Tantchen es ausdrückte. Es waren die Ukrainerinnen, die das Schließen der Türen nie lernten. Eberhard hatte die beiden
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