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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst
Autoren: Walter Kempowski
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entschlossen hatte, «Nationalökonomie» zu studieren, sein Vater hätte ihn immerfort gedrängt.
    «Wär’ ich doch bloß Tischler geworden ... » sagte er, sich der Tante zuwendend. – «Aber ausgerechnet Nationalökonom!» rief er, als müsse er die Leutchen zu Zeugen seiner Lebensdummheit anrufen.
     
    Peter fragte ihn, was das ist, ein «Ökonom».
    «Tja», antwortete der Herr, «das ist gar nicht so einfach zu erklären. Wär’ ich man Tischler geworden ... » – Ob er mal durchgucken dürfe durch das Mikroskop. Der Spiegel sei ja völlig falsch eingestellt ...
     
    Ihm sei die Ruhe im Osten nicht geheuer – schon seit Wochen diese eigentümliche Ruhe? sagte er und stellte den Kopf schief, als müsse er lauschen, ob nicht was zu hören ist, und weil ihm diese Ruhe nicht geheuer sei, wolle er keineswegs nach Insterburg weiterziehen, wie er es ursprünglich vorgehabt habe, sondern er werde ein paar Tage in Mitkau bleiben. Und dann schnellstens nach Elbing zurück und über Danzig nach Hamburg, er habe dort einen Vetter wohnen. Bei dem werde er unterkriechen.
    «Haben Sie letzte Nacht den Feuerschein gesehen, gnädige Frau?» fragte er Katharina, die eine Petroleumlampe auf denTisch stellte, weil mal wieder Stromsperre war, und sich setzte – es war ja Abendbrotzeit.
    Feuerschein? Sie wußte davon nichts ... Es war alles so kompliziert und verwickelt ... Wer je das Wort an Katharina richtete, mußte es erleben, daß sie vom Himmel fiel. Sie hatte niemals von irgendwas gehört, geschweige denn eine Ahnung. «Sie hat keinen Schimmer», wurde gesagt, «aber schön ist sie ... sehr schön.» In jeder Gesellschaft war sie die Hauptperson, obwohl sie kaum je etwas sagte.
    Aber sonst? Verkroch sich nach oben in ihr «Boudoir», und was sie dort trieb, wußte der liebe Himmel. Lesen tat sie viel, oder besser «schmökern», denn von Goethe und Lessing konnte keine Rede sein bei ihrer Lektüre. Sie hatte als junges Ding mal bei einer Buchhändlerin ausgeholfen, und seit damals war es ihre Gewohnheit, Bücher «anzulesen», nach allzu Sperrigem griff sie nicht.
     
    Jetzt mußte jedenfalls erst einmal gegessen werden. Minus 16 Grad zeigte das Thermometer, und das Barometer gab an, daß es wohl noch kälter werden würde.
    Vielleicht zögerte man ein wenig zu lange, den Herrn an den Tisch zu bitten, die Suppenterrine stand ja schon da, aber dann tat man es eben doch: Man lud ihn auf ein paar Löffel ein, und er klopfte das Pfeifchen aus und trat flink näher, setzte sich, rieb sich die Hände und sagte wieder und wieder, daß er nur eben ein wenig verschnaufen wolle.
    Gegenüber von Katharina nahm er Platz und betrachtete sie. Eine südländische Schönheit in dieser Einöde? Wo Fuchs und Has’ sich gute Nacht sagten? – Anselm von Feuerbach, dessen Bilder kannte man ja.
    Katharina sah aus, als wolle sie sagen, sie könne es ja auch nichtändern. Einen Schlüssel hielt sie in der Hand, mit dem spieltesie herum, das war der Schlüssel zu ihrem Boudoir, das sie immer verschlossen hielt. Er war schon ganz blank vom nervösen Hantieren. Da oben hatte niemand etwas zu suchen.
     
    Er habe sich etwas leichtsinnig auf den Weg gemacht, die Ausfallstraßen würden ab morgen kontrolliert, habe es geheißen, er sei grade noch so durchgewitscht. Und er habe gedacht, ein Wagen picke ihn vielleicht auf unterwegs, aber die Straße sei wie ausgestorben gewesen – und kein Gasthaus weit und breit! Am Waldschlößchen schon gedacht: Hier laßt uns Hütten bauen ... Und da habe er im letzten Augenblick das Gutshaus gesehen, wie es da geduckt hinter der Mauer liegt, unter den schwarzen Eichen, und er habe gedacht, hier könne er verschnaufen und sich aufwärmen. Und dann weiter die paar Kilometer noch bis Mitkau.
    Die werde er auch schon noch schaffen.
     
    Das Waldschlößchen? Du lieber Himmel! Früher war das Waldschlößchen ein Ausflugslokal gewesen, mit Kaffeegarten, für Familien und für Schulklassen ideal, der große Wald, und dahinter der von Weiden gesäumte Fluß? Jetzt waren die großen Aussichtsfenster mit Brettern zugenagelt, jetzt diente das Waldschlößchen als Heim für Fremdarbeiter: Rumänen, Tschechen, Italiener – Menschen, die von Einheimischen als «Gesochs» bezeichnet wurden. Die Rumänen wuschen sich die Füße nicht, und die Italiener waren gar zum Verräter am deutschen Volk geworden, im Ersten Weltkrieg schon und nun noch einmal. Das waren also Menschen, denen man nicht über den Weg trauen konnte.
    Die
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