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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst
Autoren: Walter Kempowski
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beiden Ukrainerinnen liefen ab und zu hinüber und blieben länger dort, als angängig war.
    Georgenhof: Dieses Haus hier habe etwas Geheimnisvolles an sich, wer weiß, was mich da erwartet, habe er gedacht. Und nun sitze er hier am Tisch mit so lieben, netten Menschen zusammen, und, das sei noch das Schönste, man habe sich nie zuvor gesehen, und jetzt schon so vertraut!
    Mit einer «Atzung» habe er gar nicht gerechnet, das sei hier wohl noch gute alte Gastfreundschaft?
    Er entnahm seiner Brieftasche Lebensmittelmarken und reichte sie der Frau von Globig, hielt sie dann aber doch dem Tantchen hin, die war wohl eher zuständig für so was. Katharina mit ihrem hochgesteckten dunklen Haar faßte sich an die Brosche: Lebensmittelmarken ...? schien sie zu denken. Es war alles so kompliziert...
    «Die stecken Sie man wieder ein», sagte das Tantchen und füllte ihm Suppe auf. Sah dann aber, daß es «Urlaubermarken» waren, die nicht verfielen und die man jederzeit und überall abkaufen konnte. Die nähme sie denn doch ganz gern.
    «Wer weiß, was noch alles kommt?»
    Es sei alles nicht so einfach!
     
    Der Mann bedankte sich und sagte: Mal sehen, wie’s weitergeht, erst nach Mitkau, vielleicht doch noch Insterburg, sonst Allen- stein. Und dann aber schleunigst nach Elbing zurück, und von da nach Danzig und nach Hamburg. Und dann ab in den Süden. Nun aber erst mal Suppe essen, und er sagte wieder und wieder: «Ahhh ... » und rieb sich die Hände, und er beobachtete genau, was es war, das ihm da aus der Kelle auf den Teller schwappte. Ziemlich fett war die Angelegenheit, und etwas Fleisch schwamm auch darin herum.
    Daß es in diesem Haus üblich war, ein Tischgebet zu sprechen, kam ihm gerade recht. In der Kindheit hatten die Eltern es doch auch immer so gehalten. Oh, er wisse es noch!
    Das eifrige Tantchen, der blonde Junge und die ratlose Katharina mit blauen Augen und Flaum unter der Nase, und auf dem Tisch die Terrine mit der fetten Suppe.
    Bamm! schlug die Standuhr, bamm!
     
    Die Suppe war heiß. Der Ökonom, in Göttingen studiert und lange im Fichtelgebirge gelebt, bis er auf die unsinnige Idee gekommen war, sich in Ostpreußen herumzutreiben, wie er sagte, blies über den Löffel hinweg, daß die Petroleumlampe auf dem Tisch blakte. Er wog den silbernen Suppenlöffel in der Hand und sagte: «Ah! Kultur!» und er drehte ihn um und zeigte dem Jungen den Stempel, er habe sofort bemerkt, daß der Löffel aus reinem Silber ist. «Schau mal her, was steht da? – Achthundert! » Und er hob auch Peters Suppenlöffel in die Höhe: «Jeder Löffel achthunderter Silber! – Und die Suppenkelle, ein wunderbares Stück ... Was meinst du, mein Junge, was die wert ist?»
    Und das Porzellan! – «Das ist ja – ist das nicht ... ?» – Den Teller umdrehen, das ging ja nun nicht. Aber daß darauf in blauer Farbe eine vollständige Landschaft gemalt war, trat während des Auslöffelns allmählich zutage, das war dem Jungen bisher noch gar nicht aufgefallen. Bäume, ein Weiher mit Kranichen und ein Boot mit einem Fischer, der gerade sein Netz aus dem Wasser zieht.
     
    Katharina dachte an Berlin, an die Tauentzienstraße, daß sie dort in ihrer Brautzeit dieses Geschirr gekauft hatte – Georgenhof? hatte sie gedacht, vielleicht würde man ja dauernd Gäste bewirten müssen? Viele Gäste? Auf Gütern feierte man doch Feste, soviel sie wußte? In Sälen, mit flackernden Kerzen?
    Und deshalb hatte sie das Geschirr gekauft für vierundzwanzigPersonen. «Was willst du denn mit dem ganzen Geschirr?» hatte ihr Mann gefragt, als nach der Hochzeit die Mitgift in Georgenhof eintraf.
    Aus Berlin stammte Katharina, und in Ostpreußen war sie vorher nur ein einziges Mal gewesen, im Ostseebad Cranz, da war es gewesen, daß sie Eberhard zufällig kennengelernt hatte, bei Kaffee und Kuchen. «Steige hoch, du roter Adler!» hatte die Strandkapelle gespielt. «Heil dir, mein Brandenburger Land!» Florentiner hatten sie gegessen, und Eberhard hatte Zigaretten aus einer angekokelten Meerschaumspitze geraucht: darauf ein Schnitzwerk: Mann und Frau. Und am Abend dann in der Stranddiele Foxtrott getanzt.
     
    Silber? Porzellan? – Der Ökonom wunderte sich, daß all diese Kostbarkeiten noch in Gebrauch waren und nicht schon längst weggepackt, irgendwo versteckt oder nach Berlin geschickt oder weiß der Himmel wohin? «Wenn nun die Russen kommen?» Und bei dem Gelichter hier nebenan? Die Nase lief ihm, und deshalb holte er eine Art Taschentuch
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