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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst
Autoren: Walter Kempowski
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hervor, und da fiel auf, daß er einen Brillantring am kleinen Finger trug.
    «Was glauben Sie, was hier los ist, wenn es mal andersherum kommt?!»
    Den Löffel leckte er nicht gerade ab, aber man sah es ihm an, daß er gerne mehr gegessen hätte, und da hob die Tante die Terrine mit beiden Händen und schüttete ihm den Rest der Suppe platschend auf den Teller.
    Katharina lachte ein wenig darüber, aber sie wußte nicht so recht, ob sie das darf, daß sie darüber lacht, ob die Tante das nicht vielleicht krummnimmt?
    «Wie konntest du in diesem Augenblick nur lachen? Wie konntest du das tun? »
    «Andersherum kommt»? Was meinte der Mann damit?
    Die Russen meinte er damit, die an der Grenze lagen. Jeden Tag konnten sie losschlagen, «und dann wehe uns»!
     
    Eine Schale mit Äpfeln wurde auf den Tisch gestellt, und auch davon durfte der Gast sich nehmen, und er rühmte Duft und Aroma der Früchte. Und er nahm weitere Urlaubermarken aus der Brieftasche und reichte sie über den Tisch.
    «Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich ... », wurde gesagt. Ja, dem war aus vollem Herzen zuzustimmen.
     
    Ah! wie er das genieße! sagte der Mann: Familienleben! «Der Gatte ist wohl an der Front?» Und er schälte mit seinen gepflegten Händen den Apfel, den man ihm gereicht hatte. Und als er den Apfel verputzt hatte, reichte man ihm einen zweiten.
    Nein, nicht an der Front, weit weg, in Italien war der Gatte, und er hatte von dort schon manches Schöne geschickt, und wann immer es ging, rief er an.
    «Zuerst war er im Osten, und nun ist er in Italien.»
    «Und diese Obstteller!» rief Schünemann. Jeder mit einer anderen Frucht bemalt, gefällig arrangiert, Bananen mit blauen Trauben und Mandeln, und: eine Pampelmuse, Johannisbeeren, Feigen ... Er zeigte es dem Jungen, wie sorgfältig die Malerei ausgeführt war, und erklärte ihm, was ein Granatapfel ist.
     
    Wieder und wieder wunderte sich der Mann über den Leichtsinn, diese Teller noch in Benutzung zu haben und das Tafelsilber – sofort wegpacken alles! Herrgottnochmal! Auch die mit Hirschhorngriff versehenen Obstmesser! Das Gelichter da drüben, dem war doch nicht über den Weg zu trauen.
    «Wenn es mal andersherum kommt ... »
    Wer könne denn wissen, was noch kommt? Der Russe? Wer weiß? Im Augenblick läge die Front ja noch in tiefstem Schlaf, aber das könne sich schnell ändern, er habe so ein komisches Gefühl ... Er werde morgen nach Mitkau machen und dann Insterburg und dann so schnell wie möglich wieder zurück. Vielleicht noch Allenstein. Was er in Mitkau und in Insterburg eigentlich zu tun hatte, sagte er nicht.
     
    «Alles wegpacken!» rief er, so als ob ihm selbst etwas abginge, wenn man es nicht täte. Am besten mit Stroh in eine Kiste schichten und vergraben. Oder das Silber Stück für Stück nach Berlin schicken oder nach Bayern, oder besser noch nach Hamburg. Vielleicht kann er ja bei seinem Vetter mal nachfragen, der könnte das alles bei sich unterstellen?
    Dann legte er den Finger auf die Lippen, als verrate er ein Geheimnis, und flüsterte: Silber behalte immer seinen Wert. Die größeren Stücke wegschicken, aber die Teelöffel vielleicht besser behalten, die würden wie Münzen zu verwenden sein. «Das ist doch bares Geld!» Als Flüchtling, wenn man beispielsweise über einen Fluß gesetzt werden will, dem Fährmann einfach einen Teelöffel hinhalten! Silber! So ein Mensch greife doch mit beiden Händen danach? Wer wolle denn noch Geld in dieser Zeit?
     
    Katharina drehte sich eine Zigarette, und das Tantchen brachte das Geschirr in die Küche, so genau hatte sie sich die Teller noch gar nicht angesehen ... Silber? Wegschicken? Es war ja alles nicht so einfach. Die Obstteller würde man ab heute am besten selber abwaschen und nicht den Mädchen überlassen, die womöglich alles durch die Gegend kegelten.
    In der Küche stritten die beiden Ukrainerinnen mit gellenderStimme – Vera und Sonja. Sie stritten den ganzen Tag, weiß der Himmel, worum’s ging. Vielleicht stritten sie sich ja auch gar nicht, vielleicht klang das ja nur so in ihrer verzwickten Sprache.
    Oder ging es um die Rumänen im Waldschlößchen? Unter diesen Leuten dort, den Rumänen, Tschechen und Italienern, gab es kräftige Burschen. Man konnte sie singen hören. Wenn man am Hotel vorüberging, hörte man bestimmt irgendjemanden singen. Und wenn sich die Mädels sehen ließen, schoben sie die Mütze in den Nacken. Der Italiener hatte sich
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