Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
gekauft, gestern morgen. Er habe gedacht: Was ist das denn ...
    Aus der Westentasche zog er eine Pinzette und erklärte dem Jungen die altertümlichen Briefmarken, meist Zahlen darstellend, aber auch Wappen und Kronen. Vom Verkauf dieser Briefmarke – sagte er, und er zeigte mit der Pinzette auf eine Marke, die den sächsischen König Johann darstellte – könne man gut und gerne einen Monat leben.
    Mecklenburg, Preußen und Sachsen ... Wie gemütlich es doch damals zugegangen war im guten alten Deutschland, und vonElle, Fuß und Meile sprach er, und von Postkutschen, mit denen man von einem Land ins andere gefahren sei, ohne Paß und ohne Visum, und von Kreuzer, Gulden und Schilling. Und er machte sogar das Signal des Postkutschenhorns nach.
    Die Preußen hätten diese wundervolle Vielfalt dann ja leider zunichte gemacht ... «Seid einig, einig, einig!» Die «Germania- Kopfmarke», etwas Einfallsloseres könne man sich ja kaum vorstellen. Die Germania in Rüstung? Vor den Brüsten so Teller aus Eisen?
    Für die alten Kolonialmarken werde man sich nach dem Krieg noch interessieren müssen, dann wären sie aber wohl unbezahlbar ... Deutsch-Neuguinea ... «Nach dem Krieg», sagte er, und er blätterte das Album durch, und er seufzte auf.
    Wenn man bedenke, daß die Briten dem Hitler sogar die Kolonien hatten zurückgeben wollen ... Aber nein.
     
    Peter lief hinauf in sein Zimmer und holte sein Schaubeck-Steckbuch und hielt es dem Gast hin und zeigte auf einzelne Marken, ob die auch was wert seien? – Da mußte der Herr herzlich lachen: Gott im Himmel, lieber Junge!
    Wie alt er sei? zwölf? Gerade das richtige Alter, man könne nicht früh genug mit dem Sammeln anfangen. Aber diese Marken seien wirklich nur ein paar Pfennige wert.
    «Du hast ja sehr viele Hitlermarken, mein Junge.» Wenn die Russen kämen und diese Marken sähen ... was die wohl dazu sagten? Lauter kleine Hitlerporträts ... Er wisse nicht so recht, und er wandte sich urplötzlich an Katharina: «Könnte doch sein, daß man Ihnen dafür das Haus überm Kopf anzündet, liebe Frau?»
    «Hol deinen Tuschkasten», sagte er zu Peter. Und dann bat er um einen Napf Wasser und nahm sich die Hitlermarken vor und tupfte mit schwarzer Farbe einen Punkt auf jedes Hitler-Gesicht.Peter brauche nur alle Hitlerbriefmarken schwarz zu betupfen und nach dem Krieg die Farbe wieder abzuwaschen, dann gäb’s keine Probleme. Diese Marken unbehandelt zu lassen, also ... Wenn ein Russe das Album öffnet, und es grinst ihm hundertfach der Führer entgegen?
    Die Russen? Ja, kämen die denn noch hierher? fragte das Tantchen, und sie stellte die Tassen in der Schatulle wieder richtig hin. Ihr mochte es in diesem Augenblick klar geworden sein, daß dies in der Tat der Fall sein könnte. Im vorigen Krieg waren sie ja auch nach Georgenhof gekommen.
    Der Weltkrieg 14/18 war ja aber ein ganz anderer Krieg gewesen. Da war die Menschheit noch nicht so verhetzt. Diesmal werde es wohl nicht so zivilisiert zugehen.
    «Wir Deutsche, wir sind ja auch kein Kind von Traurigkeit ... », sagte Schünemann und zog die Brauen in die Höhe, und er machte Andeutungen, die niemand in diesem Haus verstand. Aber still wurde es, und das Feuer knackte.
     
    Nun kam dem Herrn eine Idee. Er wog das Album, das er gerade eben in Harkunen für billiges Geld gekauft hatte, in der Hand – ganz schön schwer das Dings – und bat um ein Kuvert, und dann löste er die Marken aus dem Album, eine nach der anderen, vorsichtig, vorsichtig, und schob sie in das Kuvert. «Da schleppt man sich mit dem schweren Album ab, und dies ist doch viel einfacher.» Obschon – eigentlich schade ...
    Zum Schluß zeigte er mit der Pinzette eine kleine braune Marke herum, legte sie auf den Tisch, hielt die Lupe drüber und rief den Jungen herbei. «Na? » – Was: na? Was sollte sein? – Er bat um eine Taschenlampe und hielt sie über die Zähnung links unten. «Na? merkst du nichts?»
    Und dann zeigte er es ihm, daß die Zähnung repariert wordenwar! Einen einzelnen fehlenden Zahn hatte man ergänzt. Das Papier angehobelt, so dünn es auch war, und einen winzigen Zahn von einer ganz anderen Marke angeklebt. – Da rückten sogar die beiden Frauen vor, das Tantchen links und Katharina rechts, das wollten sie denn doch mal sehen ... Und sie animierten Peter, sein Mikroskop zu holen, vielleicht könnte man darunter den Betrug noch genauer betrachten?
    Bei dieser Gelegenheit nahm der Herr denn auch wahr, daß Katharina einen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher