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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst
Autoren: Walter Kempowski
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sauberen Atem hatte, was man vom Tantchen nicht gerade sagen konnte.
     
    Über die Geschicklichkeit des Menschengeschlechts sprach der Ökonom, leise lachend, Geldscheine fälschen! ... Falsche Tinten, präpariertes Papier... Er wisse noch, wie er als Kind mal die Unterschrift seines Vaters gefälscht habe, auf einem «blauen Brief», das sei ohne weiteres durchgegangen, kein Mensch habe was gemerkt. Und er lebe heute noch! Abitur, Studium, alles wunderbar. Manchmal denke er, daß man ihm womöglich irgendwann alles aberkenne, nur weil er als Kind die Unterschrift seines Vaters gefälscht hat?
    «Nationalökonom», eine Schnapsidee seines Vaters. «Tischler hätte ich werden sollen. Oder Drechsler ... oder was weiß ich.»
     
    Jetzt hatte er alle Marken in den Umschlag geschoben. Wohin mit dem leeren Album? Ein Adler vorn drauf, mit ausgebreiteten Schwingen. Ins Feuer damit? Er trat an den Kamin, und er betrachtete die Scheite, die da singend ihre Wärme abgaben. Er legte das ausgeleerte Album auf die Scheite und sah zu, wie der Adler allmählich Feuer fing und dahinsank. Das gute alte Deutschland, wie sinkt’s dahin ...
    Dann steckte er den Umschlag mit den Marken in seine Brieftasche und sagte: «Tja, denn ... »
    Es lagen eine Menge Geldscheine in der Tasche, das war ohne weiteres zu sehen.
     
    Der Nationalökonom schickte sich an aufzubrechen, aber man hielt ihn zurück. Jetzt hinausgehen in die Dunkelheit? Das kam ja gar nicht in Frage, man würde ihn nicht in Finsternis und Kälte hinausstoßen. Wind heulte ums Haus! und irgendwo brummte ein einsames Flugzeug. Die Nacht könne er doch ohne weiteres auf dem Kanapee verbringen. Gastfreundschaft. Wie viele Menschen hatten in diesem Hause schon übernachtet! Oben im ersten Stock, das Zimmer von Elfie? Aber das war ja jetzt eiskalt.
    Peter bat den Herrn Schünemann um die Erlaubnis, sich mal eben mit dessen Krücken durch die Halle schwingen zu dürfen – «Mußt Doktor sagen, Junge», sagte die Tante, « Doktor Schünemann», und dann machte es sich der Herr auch schon auf dem Sofa bequem. Katharina trug Decken und Kissen herbei, die sich der Ökonom unter den Kopf schob. Die Familie stand um ihn herum, ob er auch richtig liegt oder noch was braucht? Man verabschiedete sich, und als er endlich allein war, rollte sich der Mann in die Decken und sah zu, wie sich das Feuer im Kamin allmählich beruhigte.
     
    Ob es in Mitkau ein Briefmarkengeschäft gebe?, wollte er noch wissen. – Soviel sie wisse: ja, sagte das Tantchen.
     
    Am nächsten Morgen war er verschwunden.
    Als Katharina ihm das Frühstück bringen wollte, fehlte natürich nichts, aber von dem Feldpostbrief des Hausherrn war die Marke ausgerissen. Da hatte der Mann nicht widerstehen können.Dafür lagen auf dem Tisch mehrere Bogen mit Urlaubermarken.
    «Das sind so Sachen ... », sagte das Tantchen. «Das sind so Sachen ... »
    Die Tür stand offen. Die hätte er wenigstens schließen können. Jago natürlich wieder mal verschwunden, der hatte die Gelegenheit genutzt.

Die Geigerin
    D en nächsten Gast sah man schon von weitem gegen den Horizont hin, von Schnee eingewirbelt, über den Acker daherkommen, Krähen stießen mit ausgefransten Flügeln auf die flatternde Gestalt herab. Dieser Mensch war eine junge Frau. Sie zog einen Schlitten mit zwei Koffern hinter sich her. Über die verschneiten Erdschollen zog sie den Schlitten, der immer wieder umkippte. Gegen die heftigen Böen hatte sie Mühe, sich auf den Beinen zu halten, ihr Mantel klappte von den Windstößen auseinander, und es dauerte eine Weile, bis sie schließlich den Gutshof, der hinter den schwarzen Eichen wie eine letzte Zuflucht lag, erreicht hatte. Die junge Frau trug auf dem Rücken einen Geigenkasten, weshalb ihr auch die Leute aus der Siedlung hinterherguckten.
     
    Sie klopfte ihre Schuhe aus, schob mit beiden Händen die Strickmütze grade, holte tief Atem und öffnete die Haustür. Jago sprang freundlich an ihr empor, und weil weiter niemand erschien, rief sie laut «Heil Hitler!» ins Haus. Hier war ja wohl die Welt stehengeblieben?
    Sie wuschelte den Hund ein wenig zu derb, und da kam auch schon das Tantchen herbei aus der Küche, wo sich die beiden Ukrainerinnen mal wieder heftig stritten – daß so etwas nicht leiser abzumachen war? ... Eine fremde Frau mit Geigenkasten mitten in der Halle? Hat sich die Schuhe abgeputzt, wie man sieht, immerhin ... Peter sprang die Treppe herunter, immer drei Stufen auf einmal. Besuch!
    Nun
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