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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst
Autoren: Walter Kempowski
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massakriert hatten ...
     
    Beim Schein der Petroleumlampe – es war mal wieder Stromsperre – bekam also jeder seine Bratkartoffeln auf den Teller, Gurke und eine Scheibe Blutwurst dazu, und dann saßen die Globigs am Tisch und schauten zu, wie es dem Fräulein schmeckt, die ja wohl eine richtige Künstlerin war. Schlechte Zähne hatte sie, das war bei dieser Gelegenheit zu sehen.
     
    Daß in diesem Haus vor Tisch gebetet wurde, kam dem Fräulein wunderlich vor, sie schurrte mit den Füßen dazu. Sich mit dem «Himmelskasper» beschäftigen und beten? So was lehnte sie ab. Daß es ein Höheres Walten gebe, sei ihr klar, Schicksaloder Vorsehung, wie auch immer, in der Musik sei etwas davon zu spüren – die Kirche hingegen sei für sie nichts als ein großes Geschäft. Zu Hause hätten sie ein Heft mit Sinnsprüchen, aus dem ihr Papschi so manches Mal Weisheiten zum besten gab, Goethe, Schiller, Dietrich Eckart ... Und Peter wurde gefragt, ob er Tischsprüche kennt? «Es ißt der Mensch, es frißt das Pferd, doch heute ist es umgekehrt»?
     
    Sie aß mit vollen Backen und zeigte zwischendurch mit der Gabel auf die schwarzen Porträts an der Wand. Als Schinken bezeichnete sie die Bilder nicht gerade, aber sie sagte doch, die seien wohl von Anno Tobak, «Graf Koks von der Gasanstalt»? Und dann erkundigte sie sich, ob sie noch eine weitere Scheibe Blutwurst haben kann? Sie sei so furchtbar verfressen ... Lebensmittelmarken aus der Tasche zu holen, das kam ihr nicht in den Sinn, in den Lazaretten war sie auch nicht danach gefragt worden. In den Lazaretten hatte man ihr ohne Marken immer einen Schlag extra gegeben.
     
    Beim Stachelbeerkompott erzählte sie dann von den vielen neuen Panzern, die in Mitkau eingerückt seien, sie habe sie selbst gesehen! – schlug sich auf den Mund, ob sie das überhaupt verraten dürfe –, und von fabelhaften Barrikaden, die dort gebaut würden. Der Russe käme nie und nimmer durch! Mitkau werde jetzt ganz regulär befestigt, da seien Fachleute am Werk, an dieser Stadt bissen sich die Feinde gewiß die Zähne aus! Die momentane Ruhe an der Front bezeichnete sie als ein Atemholen, die ganze Front atme jetzt tief ein, und die Stille, die dabei eintrete, könne manchen täuschen! Und dann werde eines Tages ausgeatmet! Wie beim Niesen sei das! Das Ausatmen ein einziges tosendes Rachegebrüll! Die Feinde würden weggeblasen werden! Wie Spreu!
    Ob sich in diesem Haus Jagdgewehre befänden? Zur Not könne man sich ja auch selbst verteidigen.
    Peter holte den Drilling und erklärte dem Fräulein, daß man mit den beiden andern Läufen auf dasselbe Ziel schießen könne, wenn man den ersten bereits abgefeuert hat und das Ziel womöglich verfehlt.
    Das fand das Fräulein Gisela phantastisch! Ob die Gewehre an der Front auch drei Läufe hätten, wollte sie wissen.
     
    Nach dem Essen wurde der Kamin wieder angefacht, und Fräulein Strietzel legte die Beine hoch. Von den Verwundeten im Mitkauer Lazarett sprach sie, die sie «Versehrte» nannte, von den Amputierten, den Gelähmten und Kranken. Sogar Blinde wären dabeigewesen, eine ganze Abteilung! Auch von netten Schwestern erzählte sie, die sich ihrer fürsorglich annähmen. Die armen Jungens müßten ja sogar gefüttert werden. Und einer unter ihnen sogar blind und taub! – Vor einigen Tagen sei ein Transport Schwerverwundeter gekommen, der hätte gleich nach Westen weitergeleitet werden sollen, aber die Strecke war ja momentan mal wieder unterbrochen.
     
    Gestern sei den Soldaten ein Bunter Abend geboten worden, mit einem Zauberkünstler, einem Jongleur und zwei Witzeerzählerinnen. Und mit ihr dann als Höhepunkt! Sie habe extra ein Abendkleid für diese Zwecke dabei, denn sie könne sich ja nicht gut in Hosen hinstellen und geigen ...
    Die Verwundeten im Krankensaal! Was für ein erschütternder Anblick! Viele, viele Betten, eines neben dem anderen, und die Männer, wie sie zu ihr aufsahen, als sie dann zu spielen begann. Mäuschenstill sei es gewesen, nur aus hinteren Regionen sei ein spitzes rhythmisches Stöhnen vernehmbar gewesen, das man aber schnell habe abstellen können. Und sie dann so dieGeige aufgenommen, den Bogen angesetzt und den ersten Ton gestrichen, in die Stille hinein, und da sei ein Seufzen durch den Saal gegangen. Ein dankbareres Publikum könne man sich ja kaum vorstellen! Weinende Männer!
    Einen Blinden habe man ihr zugeführt, der hatte darum gebeten, nur mal eben ihre Hand fassen zu dürfen. Das werde ihr ewig
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