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140 - Die Loge des Gehenkten

140 - Die Loge des Gehenkten

Titel: 140 - Die Loge des Gehenkten
Autoren: A.F.Morland
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Kenny Fitzpatrick, der Totengräber, hatte keine Angst vor der Nacht, und er fürchtete sich nicht vor den Toten.
    Manchmal nannte er sie scherzhaft seine »schlafenden Freunde«. Man hatte sie hierher gebracht und zur Letzten Ruhe gebettet - den Hochschulprofessor, der im vergangenen Jahr beim Kirschenpflücken von der Leiter gefallen war und sich den Hals gebrochen hatte, die Dirne, mit der ihr Beschützer nicht zufrieden gewesen war und der deshalb zum Messer griff, die alte Jungfer, die nach einem langen, einsamen Leben vom Herrn abberufen worden war.
    Sie alle waren hier friedlich vereint, jene, die verunglückt oder ermordet waren, und jene, die eines natürlichen Todes starben.
    Und Kenny Fitzpatrick hatte für sie alle die Gräber ausgehoben - ihr allerletztes Zuhause.
    Es gehörte zum Klischee, daß Totengräber tranken, und das tat auch Fitzpatrick. Er hatte keine Ahnung, warum seine Kollegen zur Flasche griffen - ob sie es aus Furcht taten oder weil ihnen Tag für Tag die Vergänglichkeit des Lebens vor Augen geführt wurde.
    Er trank, weil es ihm schmeckte und weil er sich daran gewöhnt hatte. Es war für ihn ein angenehmes Gefühl, leicht benebelt zu sein, wie auf Wolken zu schweben.
    Alles war dann immer so einfach, und es gab keine Probleme, denn sie ertranken in Unwichtigkeit. Wenn Kenny Fitzpatrick an seinem Flachmann nuckelte, war er gut gelaunt, und die Arbeit ging ihm flott von der Hand.
    Wenn er seinen Whisky hatte, fühlte er sich pudelwohl und stark. Der Schnaps machte ihn zu einem anderen. Vielleicht war es das, was er sein wollte - ein anderer, jemand, mit dem er zufrieden sein konnte.
    Ein Pfundskerl.
    Jetzt ächzte dieser Prachtbursche, der er zu sein glaubte, richtete sich auf und kratzte sich im grauen Bart. Er war ein hagerer Mann mit sehnigen Händen, die kräftig zupacken konnten.
    Schweißtropfen glänzten auf seiner hohen Stirn, und er holte den Flachmann heraus. Der Korken quietschte, als er ihn aus dem Flaschenhals zog.
    Dieses vertraute Geräusch war Musik in seinen Ohren. Ein freundlicher Ausdruck breitete sich über seine Züge, und er lachte leise.
    »Ein Tröpfchen in Ehren kann niemand verwehren«, sagte er und setzte die Flasche an die Lippen.
    Der Whisky rann in seine Kehle, die trocken geworden war. Man muß sie regelmäßig schmieren, dachte er. Dann drückte er den Korken wieder in den Flachmann, damit der Schnaps nicht verdunstete. Der Nebel schob sieh heran und breitete sich über das Grab, in dem Kenny Fitzpatrick stand.
    Der Totengräber griff nach der Schaufel. Als sich seine Finger um den glatten Holzstiel legten, irritierte ihn etwas. Langsam hob er den Kopf.
    Was war das?
    Befand sich ein gespenstisches Wispern und Raunen in diesem Nebel?
    Blödsinn, sagte er sich unwillig. So etwas gibt es nicht, du bildest dir das ein. Der Friedhof ist dein zweites Zuhause. Wieso reagierst du heute so komisch auf den Nebel, der nicht anders ist als sonst? Hast du zuviel getrunken? Oder… zuwenig? Letzterem kann leicht abgeholfen werden.
    Er hatte gleich wieder einen Grund für einen weiteren Schluck, und als er danach mit angehaltenem Atem in den Nebel lauschte, hörte er nichts, absolut nichts.
    Er nickte zufrieden. »Na also.«
    Aber nicht weit von ihm entfernt
    ***
    Vicky Bonney war von einem Londoner Literaturzirkel eingeladen worden. Man wollte sie, die erfolgreiche Schriftstellerin, herzeigen, und das schmeichelte ihr, deshalb hatte sie die Einladung erfreut angenommen.
    Sie hatte mich mitnehmen wollen, doch ich hatte sofort abgewunken. »Ich habe dort nichts zu suchen, Schatz.«
    »Aber du gehörst doch zu mir.«
    »Ich finde, das geht nur uns beide etwas an. Du kennst mich. Ich bin nicht für diesen Publicity-Hummel.«
    Vicky hatte gelacht. »Ich weiß, du blühst lieber im Verborgenen.«
    »So ist es.«
    »Tony Ballard, der gefürchtete Geisterschreck, ist im Grunde seines Herzens ein schüchterner Mensch… Bringst du mich wenigstens hin?«
    »Sehr gern«, antwortete ich.
    »Vorschlag«, sagte meine blonde Freundin. »Ich mache es so kurz wie möglich. Zwei Stunden müßten reichen, danach verabschiede ich mich. Irgendeine gute Ausrede wird mir schon einfallen.«
    »Davon bin ich überzeugt.«
    »Nach diesen zwei Stunden holst du mich ab, und wir gehen noch ganz fein aus. Stößt mein Vorschlag auf Gegenliebe?«
    Ich lächelte. »Du hast großartige Ideen.«
    Es wurde Zeit, Vicky bei ihren Fans abzuliefern. Während der Fahrt fragte sie: »Was wirst du die zwei
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