Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
unvergeßlich bleiben.
     
    Weinende Männer – sie selbst heule ja auch bei jeder Gelegenheit los, im Kino zum Beispiel. Beim Geigespiel kämen ihr übrigens nie die Tränen, das sei mehr so technisch, da lasse man die Gefühle im Sack. Aber im Kino? «Friedemann Bach»? In diesem einzigartigen Film habe sie Rotz und Wasser geheult.
     
    Die junge Frau hatte allerhand hinter sich: in sieben Tagen acht Auftritte! Und sie zeigte ihre Hände vor: Frostbeulen! – Schnell wurde heißes und kaltes Wasser geholt für Wechselbäder und eine Tube Frostsalbe, die man dick auftrug. Wenn man da nicht sofort was unternimmt, würde sie ja nie wieder geigen können! Das platzt dann auf, und die Gelenke verknoten ...
     
    Woher, wohin ... Aus Danzig? Der Vater Oberstabsarzt, ein so gütiger Mensch! «Wenn etwas gewaltiger ist als das Schicksal, so ist’s der Mensch, der’s unerschütterlich trägt ... » – Von der letzten Musterung geschwärmt, soviel herrliches Material noch, kaum zu glauben! Wo das immer noch herkommt? Jetzt sei der Jahrgang 1928 dran, die Kraft unseres Volkes sei unerschöpflich. Sie sah Peter an, noch zu jung natürlich, aber später dann auch gutes Material. Wenn’s drauf ankäme, stünde der gewiß noch seinen Mann.
     
    Von den sieben Kommilitonen in ihrer Geigenklasse waren schon fünf gefallen, in Afrika und Jugoslawien, Stalingrad undauf dem Atlantik. Fünf tapfere Jungens. Wenn man diesen Blutzoll umrechne auf sämtliche Konservatorien und Musikhochschulen des Reiches ... das wären ja Hunderte junger Männer. Und sie sagte das so, als ob die Feinde besonders auf Geiger Jagd machten.
    Daß dadurch ihre Chancen als Musikerin später steigen würden, später, wenn alles vorbei ist, das sagte sie nicht. Später käme dann die Stunde der Frauen. Da müßten sie in die Bresche springen, das war ihr sonnenklar.
    Von ihrem Verlobten hatte sie schon lange nichts mehr gehört. Um den Hals trug sie ein Medaillon mit seinem Bild. Sie zog es hervor und zeigte es den dreien, jeder durfte es betrachten. Ein Panzersoldat mit schwarzer Baskenmütze. O du schöner Westerwald. In den Ardennen war allerhand losgewesen. Nun still geworden dort. Vielleicht war er ja in Gefangenschaft geraten, hoffentlich? Die Amis behandelten ihre Gefangenen ja human – bloß nicht den Russen in die Hände fallen! diesen Untermenschen.
    Auf dem Foto in dem Medaillon lagen die Trümmer eines vierblättrigen Kleeblattes, beide hatten es gleichzeitig entdeckt auf seinem letzten Urlaub. Hatten sich gleichzeitig danach gebückt! Das war noch so komisch gewesen ...
    Sie hielt ihr Medaillon gegen das der Frau von Globig, das größer und schwerer war. Was mochte darin verborgen sein? Eine kleine, brillantene Träne darauf?
    «Heil dir, mein Brandenburger Land!»
     
    Nach dem Essen trug das Tantchen das Geschirr nach draußen, und als sie die Tür zum Korridor öffnete, drang aus der Küche mal wieder Geschrei der beiden Mädchen herein.
    «Was ist denn das?» fragte das Fräulein Gisela. Ukrainerinnen?
    Und die machen hier so einen Lärm? Was die sich herausnähmen? hier so zu schreien? Wenn sie was zu sagen hätte, wär’ ganz schnell Ruhe im Karton.
    Ein Rätsel war es ihr, daß man sich ein solches Benehmen in diesem Haus gefallen ließ. Ein Pole und Ukrainerinnen, all so Gesochs? Und sie guckte von einem zum andern: Ob ihr das mal einer sagen kann, warum die hier so rumschreien dürfen?
     
    Acht Uhr. Peter sollte eigentlich ins Bett, aber dann wurde er doch dabehalten, denn das Fräulein Strietzel holte die Geige aus dem Kasten. Zum Dank für die Blutwurst wollte sie den Gastgebern denn doch noch etwas zu Gehör bringen.
    Das Instrument hatte schon einiges mitgemacht: Das Griffbrett war mit einer Schlosserschraube an den Korpus angeschraubt! Und da das Licht immer noch nicht wieder angegangen war, zündete das Tantchen zu der Petroleumlampe zusätzlich noch zwei Kerzen an, und dann schallte durch das Haus eine Serenade, mit Schluchzern und Sforzandi, ein zu Herzen gehendes Stück, das man irgendwie kannte und das die Künstlerin in den Lazaretten schon so oft zu Gehör gebracht hatte. Jedem, der es hört, dringt so etwas sofort tief in die Seele ein, und wenn es sich erst mal dort eingenistet hat, läßt es sich nicht so leicht wieder entfernen. Als Ohrwurm fristet es dann seine Existenz.
     
    Auch die Mädchen in der Küche kriegten was davon mit, von dem heiligen Klang. Das Geschrei hörte auf, und sie kamen auf den Korridor
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher