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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst
Autoren: Walter Kempowski
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sogar eine Feder an die Mütze gesteckt!
     
    Herr Schünemann besichtigte die Porträts, die hier in der Halle hingen, groß und schwarz, sie stellten würdige Menschen aus Potsdam und aus der Tucheler Heide dar. Wenn man auch nicht genau wußte, wen .
    Soso, Berlin. Wilmersdorf?
    Als «Wilmersdorf» erwähnt wurde, guckte Katharina zur Seite. Sie hatte zu Weihnachten Peter dorthin schicken wollen – wer weiß, was noch alles kommt –, aber die Wilmersdorfer hatten abgewinkt.
    Die Berliner ließen nur was von sich hören, wenn sie was haben wollten ... Kartoffeln, Gemüse, alles hatte man hingeschafft, Jahr um Jahr, zum Fest sogar eine Gans, aber den Jungen hatten sie nicht nehmen wollen. Vielleicht ja auch besser so, bei den verheerenden Angriffen dort?
    Im letzten Sommer noch die beiden Töchter hergeschickt, Elisabeth und Anita, die hatten sich so gut erholt.
    «Das Tischtuch ist für immer zerschnitten!» sagte das Tantchen, «ein für allemal!», und der Ökonom sagte: «Aha.»
    Nach dem Essen setzte der Herr zu einer Besichtigungstour an. Er schwang zwischen den Krücken artistisch die Halle auf und ab, stieß gar die Tür auf nach nebenan: von dort kam kalte Luft herein! Das war der Sommersaal, vor dem Krieg gebaut, vom Verkauf der Ländereien bar bezahlt und nie so richtig benutzt. Jetzt stand er voll Kisten und Kasten.
    Er machte eine Runde in dem eiskalten Saal: «Was sind denn das für Kisten?» sagte er und stieß mit der Krücke dagegen, aber dann ließ er das bleiben, schloß die Tür und kehrte zurück zu den anderen.
    Ein weiterer Raum war noch zu erkunden: Was? – Ein Billardzimmer! ... Ein reguläres Billard, grün bespannt ... Am Fenster Spieltische mit polierter Platte, und in der Ecke ein Schrank, dessen Tür mit Intarsien verziert war. In dem wurden wahrscheinlich Weine und Zigarren aufbewahrt?
     
    Die an den Wänden aufgereihten Jagdtrophäen – Gehörn, Geweih, eins neben dem andern, und ein ausgestopfter Sauen- kopf – stammten noch von dem alten Globig. Unter der Decke gar eine Lampe aus ineinander geflochtenen Geweihen? Der alte Globig war ein großer Jäger gewesen, sein Drilling und das teure Repetiergewehr hingen in einem modernen Glaskasten, der hier eigentlich gar nicht herpaßte.
    Das Tantchen blieb dicht hinter dem Mann, immer dichtauf, man kannte sich doch gar nicht! Und sie erklärte ihm, daß hier die Herren in früheren Jahren immer ihre Zigarren geraucht und Whist gespielt hatten. «Nun machen wir die Tür wohl besser zu.»
    Drüben im Saal seien Feste gefeiert worden, sagte sie ... Was gar nicht stimmte, man hatte Feste dort feiern wollen, aber dann war der Krieg gekommen. Und nun standen dort Kisten mit Hab und Gut der Berliner.
    Das Tantchen schob den Gast wieder in die Halle, und der schwang sich an seinen Krücken rundum und besichtigte den Weihnachtsbaum, von dem die Nadeln rieselten, und er schlug mit der Krücke ein Eckchen des Teppichs um: «Echt?»
    Endlich sah er sich auch die schräg gestellten Tassen in der Schatulle an, sagte: «Darf man?» und öffnete die Glastür und betrachtete sie eine nach der anderen. Manch eine war mit einer Landschaft bemalt, im Vordergrund Jungen, die auf dem Eis Schlittschuh liefen. In mancher lagen vertrocknete Fliegen. – Hier lag auch Eberhards Meerschaumspitze, etwas angekokelt, aber interessant. Vor den Tassen standen, in schnörkelige Drahtrahmen gesteckt, braune Fotos, Großväter, Großmütter. Der Ökonom fragte nach den dargestellten Personen, und, da er keine Antwort bekam, sah er Katharina an, aber die stand nicht auf, die «trat nicht näher», die saß am Tisch, rauchte und spielte mit der Streichholzschachtel.
     
    Das Tantchen ließ sich herbei und zeigte auf das Foto eines zaristischen Offiziers von 1914, in verschnürter Litewka, mit Reitgerte in der Hand. Von ihm gingen allerlei Geschichten um. Daß er beim Russeneinfall 1914 auf Georgenhof einquartiert worden war, ein anständiger Mensch und hochgebildet. Fließend französisch! Man hatte ihm viel zu danken gehabt: den Hof vorm Brandschatzen gerettet! Auch mit ihm war Billard gespielt worden.
    In den zwanziger Jahren war er hier unversehens noch einmal aufgekreuzt, über Finnland den Sowjets entwischt. «Abgerissen» hatte er ausgesehen, jegliche Eleganz passé, eine Pelzmütze auf dem Kopf. Hatte nach Osten gezeigt und immerfort: «oh! oh! oh! » gesagt. Hatte sich noch Geld geliehen und war für immer verschwunden. Die Persianermütze, weiß, hatte er
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