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scherbenpark

scherbenpark

Titel: scherbenpark
Autoren: Alina Bronsky
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M anchmal denke ich, ich bin die Einzige in unserem Viertel, die noch vernünftige Träume hat. Ich habe zwei, und für keinen brauche ich mich zu schämen. Ich will Wadi töten. Und ich will ein Buch über meine Mutter schreiben. Ich habe auch schon einen Titel: »Die Geschichte einer hirnlosen rothaarigen Frau, die noch leben würde, wenn sie auf ihre kluge älteste Tochter gehört hätte«. Vielleicht ist das nur ein Untertitel. Ich habe Zeit, es mir genau zu überlegen, denn ich habe noch nicht angefangen zu schreiben.
    Die meisten Leute, die in unserem Viertel leben, haben gar keine Träume. Ich habe extra gefragt. Und die Träume der wenigen, die welche haben, sind so kläglich, dass ich an deren Stelle lieber gar keine hätte.
    Annas Traum zum Beispiel ist, reich zu heiraten. Er soll Richter sein und Mitte dreißig und, wenn es geht, nicht ganz so hässlich.
    Anna ist siebzehn, genau wie ich, und sie sagt, sie würde so einen so fort heiraten, wenn er käme. Dann könnte sie endlich aus dem Solitär aus- und in das Penthouse des Richters einziehen. keiner außer mir weiß,dass Anna manchmal mit der Straßenbahn in die Innenstadt fährt und dreizehn Runden um das Landgericht dreht, in der Erwartung, dass der Richter endlich rauskommt, sie entdeckt, ihr eine rote Rose schenkt, sie erst zum Eis und dann in seine Penthouse-Wohnung einlädt.
    Sie sagt, man muss für sein Glück kämpfen, sonst zieht es an einem vorbei.
    »Weißt du denn, was Solitär eigentlich heißt, du dumme Kuh?« frage ich. »Das ist ein besonders edler Diamant, der einzeln in der Krone sitzt. Das muss dir doch gefallen. Du wirst nie wieder in einem Solitär wohnen, wenn du hier ausziehst.«
    »Das hast du dir gerade ausgedacht. Sie hätten nie im Leben diesen Betonklotz nach einem Diamanten benannt«, sagt Anna. »Und überhaupt, wenn man zu viel weiß, wird man schnell alt und runzlig.« Das ist ein russisches Sprichwort.
    Da Annas Richter auf sich warten lässt, schläft sie gerade mit Valentin, der auch so einen Traum der Kategorie C hat. Er will einen nagelneuen schneeweißen Mercedes. Vorher muss er seinen Führerschein machen, deswegen trägt er vor der Schule Anzeigenblättchen aus. Da das damit verdiente Geld viel zu langsam zusammen- und viel zu mickrig daherkommt, geht Valentin zweimal die Woche zu einem älteren Ehepaar putzen. Das Ehepaar wohnt am anderen Ende der Stadt, und die Putzstelle hat dem Valentin seine Mutter vermittelt, die bei deren Nachbarn sauber macht. Keiner darf wissen, dass Valentin putzen geht, sonst machen ihn die Jungs fertig, und Anna macht Schluss.
    Valentin hat meistens einen Gesichtsausdruck, als hätte ihm jemand einen Kaktus in die Hose gesteckt. Ich denke, das kommt daher, dass er weiß: Selbst wenn er irgendwann genug Kohle für einen Führerschein beisammen hat, für einen weißen Mercedes muss er zwei Leben lang putzen gehen. Im dritten Leben kann er dann vielleicht einsteigen.
    Peter der Große dagegen träumt von einer echten Blondine mit dunklen Augen. Er war vorher mit Anna zusammen, sie hat braune Augen, ist aber nicht echt – jedenfalls nicht als Blondine. Jetzt hat er eine andere, aus seiner Klasse. Das ist für ihn aber unpraktischer, weil sie in der Innenstadt wohnt und nicht im Solitär. Er flucht seitdem, dass er sein halbes Leben in der Straßenbahn verbringt. Dort hält er nach weiteren Blondinen Ausschau.
    An mir war er noch nie interessiert – mein Haar ist zu dunkel.
    Ich heiße Sascha Naimann. Ich bin kein Kerl, auch wenn das hierzulande jeder denkt, der meinen Namen hört. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich das den Leuten schon erklärt habe. Sascha ist eine Kurzform von Alexander UND von Alexandra. Ich bin Alexandra. Mein Rufname ist Sascha, so hat mich meine Mutter immer genannt, und so will ich auch heißen. Wenn ich mit Alexandra angesprochen werde, reagiere ich nicht. Das kam früher öfter vor, als ich in der Schule neu war. Jetzt passiert es eigentlich nur noch, wenn ein neuer Lehrer kommt.
    Manchmal denke ich, dass ich nie wieder neue Menschen kennenlernen will, weil ich es satt habe, jedemdas Gleiche von vorn zu erklären. Warum ich Sascha heiße und wie lange ich schon in Deutschland lebe und Warum ich so gut Deutsch kann, ungefähr elfmal besser als alle anderen Russlanddeutschen zusammen.
    Ich kann Deutsch, weil mein Kopf voll ist mit grauer Substanz, die wie eine Walnuss aussieht und makroskopisch viele Windungen hat, mikroskopisch dagegen eine stolze Menge
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