Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
Prolog
     
     
     
    Die Nächte waren kalt hier oben. Es störte ihn nicht. Hatte es nie. Er schlug den Kragen seiner alten Felljacke hoch, der immer noch daraus aufsteigende Geruch von Schafen ließ ihn lächeln. Er mochte diesen Geruch, selbst jetzt noch empfand er ihn als ein Symbol seines Sieges. Er wusste, dass das ein bisschen albern war, es gab deutlichere Zeichen und konkretere Anlässe. Erst recht bessere Gerüche, wie den in der nächtlichen Feuchte aufsteigenden Duft der Erde und der Wiesen, den letzten Hauch des Holzfeuers, den der leichte Wind vom Haus herübertrug. Doch dieser Geruch des alten wolligen Fells stand für das, was er gesucht und schließlich gefunden hatte. In jener Zeit war ihm die Suche lang erschienen, wenn er nun zurückblickte, war sie kurz gewesen, eine flüchtige Episode.
    Er hatte damals alles, was sein Leben bis dahin bestimmte, zurückgelassen, mit so viel Entschlossenheit wie Furcht. Auch mit Trotz, das hatte er erst später begriffen, als er längst sicher war, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
    Seltsam, dachte er, während sein Blick von den in der Dunkelheit spukhaft schimmernden schneebedeckten Bergspitzen weiter hinauf zu den Myriaden von Sternen wanderte. Bei aller Sehnsucht nach dem bequemen Leben, die ihn in der harten Anfangszeit, besonders in Nächten wie dieser, manchmal eingeholt hatte, war die Versuchung zurückzukehren nie stark genug geworden.
    Einer der Sterne, ein großer, bewegte sich über den Himmel — kein Stern, es war ein Flugzeug. Seit es Direktverbindungen von Santiago nach Nordeuropa gab, sah er die Maschinen in den tiefdunklen Nächten häufiger. Wie lange mochte es dauern, bis so ein großer Vogel in Frankfurt oder Berlin landete? Zwei Stunden? Drei? So nah war sein altes Leben. Es bedeutete keine Versuchung, auch wenn er sicher glaubte, dass er dort nach all den Jahren unbehelligt bleiben könnte. Die Möglichkeit, mit einem Sprung zurückzukehren, so schnell, so einfach, machte es noch leichter, es nicht zu tun.
    «Blödsinn», murmelte er. «Was sollte ich da?» Und womöglich würden sie ihn wieder einfangen. Womöglich würde er nicht stark genug sein, noch einmal zu entkommen oder sich auch nur ihren Plänen zu verweigern.
    Sie hatten ihn bisher nicht gefunden, also würden sie ihn auch in Zukunft nicht finden. Vielleicht hatten sie es gar nicht versucht? Zu Anfang hatte er sich das oft gefragt, heimlich und mit dieser alten Mischung aus Wut, Furcht und Hoffnung.
    In diesen Bergen war er in Sicherheit. Hier fühlte er einen Frieden, den er zuvor nicht gekannt hatte. Hier würde er bleiben, hier würde er sterben. Obwohl er hoffte, bis dahin noch viel Zeit zu haben, hatte er sich seinen letzten Platz schon ausgesucht. Vielleicht fiel ihm eines Tages einer dieser Sterne, seiner vertrauten Freunde, auf den Kopf. Er lachte lautlos und blinzelte hinauf in das kalte Glitzern. Wenn man es genau betrachtete, waren die Sterne seine Retter gewesen. Denn wegen der Sterne gab es ja den Jakobsweg. Diese Pilgerstraße, für die er sich entschied, nachdem er endlich begriffen hatte, dass er sich retten musste. Seine Flucht in den Süden hatte dazu nicht gereicht. Er hatte sich nur durchgeschlagen, mehr schlecht als recht. Ein paar Sommermonate mit zwei Straßenmusikern, hier und da ein paar Wochen als Kellner in einer Strandbar, ein Vierteljahr in der Villa einer sehr reichen und sehr besitzergreifenden Frau, im goldenen Käfig. Da war er noch einmal geflohen.
    Er hatte sich damals gewiss nicht auf den Weg nach Santiago de Compostela gemacht, weil er das Heil, den verlorenen Glauben oder inneren Frieden suchte. Er hatte nur gehört, unterwegs treffe man lauter Gutmenschen, die sich bemühten, ihren Nächsten zu lieben und mit einem armen Pilger bereitwillig ihr Brot oder eine Flasche Wein teilten.
    Und wer sich darauf verstehe, ein frommes Gesicht zu machen, finde in den zahllosen Kirchen, Klöstern und Herbergen entlang des Weges immer Unterkunft. Für einen Sommer sei das eine halbwegs angenehme Zeit.
    Also hatte er ein billiges Silberkreuz gut sichtbar um seinen Hals gehängt und sich auf den Weg gemacht. Ganz so vielen war er dann doch nicht begegnet, die Idee hatten vor ihm schon zu viele andere gehabt. Oft hatte er für Unterkunft und Abendessen einen Stall ausmisten, Holz hacken, Fußböden schrubben oder Heu wenden müssen. Er war verblüfft gewesen, als er eines Tages bemerkte, dass ihm das Befriedigung gab. Und dann hatte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher