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Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Titel: Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
Autoren: Christian Y. Schmidt
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rythm of a galloping horse with its head raised high and hooves flying.» Dann erklärt es, was das Dargestellte bedeutet: «A soaring ‹touch-and-go virility›, that demonstrates the city promising and aggressiveness.» So stellt man sich also in diesem Distrikt-Rathaus Shanghai vor.
    Ich will mir den Quatsch in seinem lausigen Englisch gerade notieren, da setzen sich zwei Männer zu mir auf den Bordstein, zünden sich eine Zigarette an, und es entspinnt sich der erste deutsch-chinesische Dialog dieser Reise. So etwas Ähnliches zumindest. Ich glaube, ich habe schon gesagt, dass es mit meinen Chinesischkenntnissen nicht weit her ist. Ich kann ein paar Standardsätze und dazu noch ein paar Vokabeln. Zum Glück ist aber Chinesisch keine sehr komplizierte Sprache, sodass man mit wenig oft erstaunlich weit kommt. Das Verstehen ist noch leichter, weil man nach ein paar Monaten Hörtraining in der Lage ist, einzelne Wörter im chinesischen Redefluss zu unterscheiden. Normalerweise reicht es dann, ein Verb und ein Substantiv erkannt zu haben, um ungefähr zu wissen, was gemeint ist, denn wie in jeder anderen Sprache, so ist auch hier das meiste des Gesagten ohnehin überflüssig.
    Besonders einfach ist es natürlich, wenn ein Chinese den Dialog mit einer Wendung beginnt, die er für Englisch hält. So wie jetzt: «Armani clock? Very gudde.» Das scheint die Standardbegrüßung für Ausländer in Shanghai zu sein; ich habe sie schon bei meinen früheren Aufenthalten hier immer wieder gehört. Ich habe mir damals auch eine Standardantwort zurechtgelegt, die eigentlich jeder Ausländer in China beherrschen sollte: «Bu yao», ich will nicht. Vom nächsten Satz verstehe ich nur zwei Worte: «ni» und «guo jia». Das heißt «du» und «Heimatland». «De guo», gebe ich zurück, «das Land der Tugend», wie Deutschland in China schmeichelhafterweise heißt. «De guo ren you hen duo qian», Deutsche haben viel Geld. Auch diese Ansicht wird in China öfter geäußert, wie man sich überhaupt sehr gerne über das Thema Geld unterhält. Den Geldbesitz weise ich in dieser Pauschalität zurück: «Wo mei you», ich habe keins. Doch das will man mir nicht so einfach glauben: «Deine Schuhe sehen teuer aus. Was haben sie gekostet?» – «Bu gao su ni», das sage ich dir nicht. – «Deine Uhr ist auch teuer. Willst du tauschen? Du bekommst die Armani-Uhr dafür.» Jetzt würde ich gerne antworten: «Ich bin doch nicht bescheuert», doch dafür reicht mein Wortschatz leider nicht.
    Auch wenn deshalb dieses erste Gespräch mit echten Chinesen nicht zu meiner vollsten Zufriedenheit endet, bin ich trotzdem ein bisschen stolz darauf, dem Wortwechsel über eine so lange Strecke standgehalten zu haben. Für einen Mann, der mir nur etwas später dort entgegenkommt, wo die Nanjing Lu in den Platz des Volkes mündet, ist eine Diskussion offenbar nicht ganz so erfreulich ausgegangen. Schreiend läuft er auf der Mitte der Straße und blutet dabei kräftig aus der Nase. Sein Gesicht ist schon ganz rotverschmiert, und weil er schneeweiße Kleidung trägt, wirkt das Blut doppelt rot.
    Ich fliehe vor diesem Anblick und dem Geschrei in die ruhige Stadtplanungshalle, die auch am Platz des Volkes liegt. Anhand des angeblich «größten Stadtplanungsmodells der Welt» kann man sich hier ein genaues Bild davon machen, wohin diese Stadt sich zu entwickeln gedenkt. Besonders rosig scheint die Zukunft nicht zu sein. Wer sich das Modell nämlich genau ansieht, muss glauben, Shanghai stehe ein großes Erdbeben bevor. Die Brücken des Stadtautobahnrings sind an verschiedenen Stellen zusammengebrochen, die Bäume nur noch Stümpfe, manche Hochhäuser schwanken bedenklich. Am schlimmsten hat es den neuen Stadtteil Pudong erwischt: Dort blockiert rotes Kitkat-Papier gleich mehrere Straßenzüge. Besorgt frage ich einen Angestellten nach der Ursache für die Katastrophe: «Wie wird das Modell eigentlich gesäubert?» Diesmal spricht man englisch: «Die Putzfrauen laufen mit Staubsaugern auf dem Huang-Pu-Fluss.» – «Aber so», gebe ich zu bedenken, «kommen sie doch nur an einen Bruchteil der Stadt heran.» – «Für den Rest nehmen sie lange Stöcke, an denen Staubwedel befestigt sind.» Aha, und mit denen wird über kurz oder lang die ganze Stadt zertrümmert.

    Erst die beiden aufdringlichen Uhrenhändler, dann der Verprügelte, jetzt das halbzerstörte Stadtmodell: Ganz so unrecht, denke ich, scheint der Betexter des heroischen Reitereidenkmals doch
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