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Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall

Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall

Titel: Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
Autoren: Franziska Steinhauer
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    Anette Faun fuhr jeden Tag dieselbe Strecke. Früher mit der Regionalbahn, jetzt mit der Odeg, der Ostdeutschen Eisenbahngesellschaft.
    Jeden Morgen hin. Jeden Abend zurück.
    Zuerst wollte sie das Stellenangebot ablehnen, hatte an einen Ortswechsel und später an eine Neubewerbung in Cottbus gedacht. Nach intensivem Überlegen erschien es ihr letztlich machbar. Alles eine Frage der Organisation. Ein Umzug nach Zittau wäre natürlich toll gewesen, aber diese Variante kam für sie nicht infrage. Nicht, solange ihre Mutter lebte.
    Später könnte sie immer noch neu überlegen, Pläne machen, Träume verwirklichen, aber an dieses Später mochte sie lieber gar nicht denken. Bei einem heftigeren Ruckeln des Zuges zuckte sie zusammen und sah von der Fachzeitschrift in ihrem Schoß auf. Fast schade, dachte sie, dass ich so wenig Zeit dazu habe, die Landschaft zu genießen. Gerade jetzt, wo die Felder voller Korn stehen, sich die gelbreifen Ähren im spätsommerlichen Wind mal hierhin und mal dorthin ducken. Mit gewisser Belustigung entdeckte sie eine Vogelscheuche.
    Dass es so etwas noch gibt!, schoss es ihr durch den Kopf, im Zeitalter der alles könnenden Technik. Vielleicht ein Öko-Bauer.
    Einer mit ausgeprägter Vorliebe für Rabenvögel!
    Statt die großen Vögel zu vertreiben, sah es beinahe so aus, als sei die Scheuche die Attraktion im Feld. Auf den zur Seite ausgebreiteten Armen hatten sich Nebelkrähen niedergelassen. Besonders stattliche Exemplare, die interessiert am Stoff der Jacke zerrten. Aufmerksam geworden, gesellten sich auch einige Saatkrähen dazu. Anette lachte leise.
    Irgendwie funktionierte das Vertreiben nicht richtig!
    Längst hatte sie Feld und Vögel hinter sich gelassen, da kreisten ihre Gedanken noch immer um die Vogelscheuche. War das womöglich eine völlig neue Methode? Ein neuer Denkansatz? Wenn die Krähen an der Puppe pickten, ließen sie das Feld unbeachtet. Und kleine Schmarotzer fanden sich gar nicht erst ein, wenn die großen Krächzer schon da waren.
    Nicht vertreiben, nein, umdirigieren hieß die Maßnahme!
    Schon formte sich der Titel eines Vortrags, den sie halten würde. Über völlig neue Erkenntnisse im Bereich ›Ernteschutz‹. Ein Abstract im ›Lancet‹! Das wäre der Knaller. Und alles, was sie tun musste, war nachzusehen, womit der Bauer die Vögel anlockte.
     
    Anette Faun sehnte ungeduldig das Ende des Arbeitstages herbei. Die neue Idee zur Bekämpfung der ›Erntehelfer‹ beschäftigte sie unablässig. Es war eine besonders angenehme Vorstellung, den eigenen Namen auf der Titelseite von ›Nature‹ zu sehen. Eine unbedeutende Biologin beschrieb eine neue, ökologisch unbedenkliche Methode, Krähen und andere Vögel von den Feldern fernzuhalten.
    Erste Formulierungen hatte sie sich schon in der Mittagspause notiert. Giftige Sätze, die den leichtfertigen Einsatz von Chemie bei der Produktion von Lebensmitteln brandmarkten – sie wusste natürlich, dass Vögel sich nicht mit der ›chemischen Keule‹ vertreiben ließen, doch als Aufhänger war so etwas allemal geeignet. Die ungeteilte Aufmerksamkeit der Leserschaft, ihres Publikums, wäre ihr sicher.
    Als sie nach Cottbus zurückfuhr, konnte sie es kaum erwarten, wieder an dem Feld vorbeizukommen. Wie erwartet, war die Vogelscheuche dicht belagert.
    Krähen, Elstern, hier und dort ein Eichelhäher und mehrere kleinere Vogelarten, die sie mit bloßem Auge nicht sicher erkennen konnte, hüpften auf und flogen um die Scheuche herum. Noch heute Abend würde sie das Rätsel lösen!
     
    Eine Stunde später radelte sie auf dem Feldweg entlang. Schon von Weitem war das raue Gekrächze und wütende Gezeter zu hören. Offensichtlich wurde heftig gestritten. Sehr ungewöhnlich. Anette Fauns Adrenalinpegel peitschte sich erneut hoch.
    Als sie den Feldrand erreichte, stieg sie ab und beobachtete fasziniert das ungewöhnliche Schauspiel. Jede Menge Vögel umflatterten aufgeregt die Scheuche in engen Kreisen, landeten mal hier, mal dort, schubsten und hackten sich gegenseitig von den besten Plätzen, kreischten wütend Neuankömmlinge an.
    »Sieht ja fast wie eine Raubtierfütterung aus«, flüsterte die junge Frau atemlos. Aus der Gesäßtasche zog sie ihr Handy, um unauffällig ein paar Aufnahmen zu machen. Das leise Klicken des Auslösers schien die Tiere nicht zu beunruhigen.
    »Ziemlich große Scheuche«, murmelte Anette, empfand das aber als logisch, weil offensichtlich sehr viel Lockstoff im Anzug untergebracht
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