Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall

Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall

Titel: Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
Autoren: Franziska Steinhauer
Vom Netzwerk:
ganz frische Tote habe ich schon mehrfach beurteilen müssen. Es ist für uns nachvollziehbar, dass Füchse, Vögel und andere Interessenten an den zugänglichen Stellen fressen, ja sogar Beutestücke entwenden. Selbst von Fischen wissen wir das. Niemand möchte sich vorstellen, was die viel kleineren Besucher so anrichten. Wenn Sie also in Zukunft nicht von Horrorbildern heimgesucht werden wollen: Fassen Sie die Kleidung nicht an!«, warnte der Arzt und wies auf eine wohlgenährte weißliche Made, die über den locker baumelnden Hosenbund des Toten kroch. »Davon gibt es noch viel, viel mehr. Unter dem Hemd.«
    Uneingeladen drängten sofort Bilder aus Nachtigalls Erinnerung an die Oberfläche: Evelyn Krause. Nachdem er vor drei Jahren ihre Leiche gefunden hatte, war ihm auf Wochen der Appetit vergangen und er hatte mit größtem Ekel auf jede umhersummende Fliege reagiert.
    »Alles klar«, antwortete er mit dünner Stimme. »Ich habe so etwas schon gesehen. Und ich muss wissen, wer hier aufgestellt wurde, sonst kann ich nicht ermitteln.«
    Dr. Brand warf ihm einen unergründlichen Blick zu. »So etwas haben Sie bestimmt noch nicht gesehen. Und wenn Sie jetzt gegen das Jackett klopfen, werden Sie sich den Rest Ihres Lebens wünschen, Sie hätten das nicht getan und auf den Rat von Dr. Brand gehört.«
    »Er hat recht«, verkündete eine weibliche Stimme ungerührt. »Die sind schreckhaft und reagieren empfindlich auf Störungen.«
    Nachtigall wandte sich um, dankbar, nicht länger in das entstellte Gesicht des Toten sehen zu müssen. »Aha. Und mit wem … Ach, unsere Zeugin!«
    »Anette Faun. Ich habe die Polizei verständigt.«
    Überrascht musterte der Hauptkommissar die junge Frau, während er langsam und vorsichtig über die Taschen der Kleidung strich. Nichts. Keine Brieftasche. Kein Geldbeutel. Er zog die Handschuhe von den Händen und stopfte sie in die Hosentasche.
    Sie deutete seinen Gesichtsausdruck richtig: »Na ja, so abgebrüht, wie Sie jetzt sicher glauben, bin ich gar nicht. Ich habe Ihrem Kollegen Wiener schon gezeigt, wo ich mich übergeben habe.« Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern.
    »Aber nun geht es wieder?«, erkundigte Nachtigall sich mitfühlend.
    Er bemühte sich, ihr nicht zu zeigen, wie erleichtert er war. Es war eine Wohltat, zur Abwechslung mal auf jemanden zu treffen, der einem Toten nicht mit kalter Gleichgültigkeit begegnete.
    »Solange ich ihn nicht ansehen muss.«
    »Gehen wir ein Stück gegen den Wind«, schlug Nachtigall vor, verabschiedete sich von Dr. Brand und marschierte los.
    »Wieso er?«
    »Bitte?«, fragte Anette Faun irritiert.
    »Sie sagten: Solange ich ihn nicht ansehen muss. Woher wissen Sie, dass es sich um einen Mann handelt?«
    Die junge Frau schwieg ein paar knirschende Schritte lang. »Kann ich nicht genau sagen. Er trägt einen Herrenanzug, völlig aus der Mode. Aber wahrscheinlich«, sie sah auf ihre Fußspitzen, »wahrscheinlich liegt es daran, dass ich nicht glauben will, dass jemand einer Frau so etwas antut – Sie verstehen schon.«
    »Sie so öffentlich gezeigt wird?«
    »Ja.«
    Nachdenklich schlenderten sie weiter. Anette Faun war wohl einfach noch zu jung. Es fehlte ihr an Lebenserfahrung.
    Nachtigall seufzte. Er selbst hatte sofort an eine Tat aus Eifersucht gedacht. Die Nebenbuhlerin, diese Vogelscheuche, sollte am Pranger hängen und langsam aufgefressen werden. Einen abstoßenden Anblick bieten! Hoffentlich, preschte seine Fantasie an zu langen Zügeln los, war sie nicht bei lebendigem Leib dort hingehängt worden! Er schüttelte sich.
    »Was ist? Haben Sie schon eine Idee, wie es gewesen sein könnte?«
    »Prometheus.«
    Die Biologin starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. »Sie meinen …«
    »Nein!« Nachtigall schnitt mit einer heftigen Handbewegung alle weiteren Spekulationen ab. »Nein. In dieser Phase, wenn man gar nichts weiß, muss man natürlich alles bedenken, so unwahrscheinlich es auch sein mag. Die Obduktion wird viele der offenen Fragen klären!«
    »Was wollten Sie überhaupt hier? Zufall ist es doch nicht, dass Sie den Toten gefunden haben!«
    Anette Faun spürte, wie ihr Röte und Hitze ins Gesicht schossen. Unter den gegebenen Umständen war ihr die Geschichte mehr als peinlich. »Aus dem Zug konnte man die vielen Vögel erkennen, die ein offensichtliches Interesse an der Scheuche hatten. Wenn ich jetzt einen Artikel in einer renommierten Fachzeitschrift veröffentlichen könnte, der eine neue Methode beschriebe,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher