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Eine Braut von stuermischer Natur

Eine Braut von stuermischer Natur

Titel: Eine Braut von stuermischer Natur
Autoren: Lynsay Sands
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    September 1351
    Balan lehnte sich auf seinem Platz an der hohen Tafel nach vorn und dehnte dabei unbehaglich die Schultern. Sein blaues Wams war zu eng und zwickte ihn am ganzen Leib, denn es war nicht für seine hünenhafte Statur geschneidert. Früher hatte es seinem Vater gehört, der es bei Hofe getragen hatte. Diese Zeit lag lange zurück. Inzwischen war die Farbe verblasst, der Stoff an manchen Stellen dünn geworden, dennoch handelte es sich um das beste Stück, mit dem Balan aufwarten konnte. Er besaß andere, die besser passten, doch waren sie entschieden zu abgetragen für eine Einladung am Königshof in Windsor.
    »Sieh mal, dort drüben. Lord Malculinus starrt unablässig in unsere Richtung«, raunte Osgoode ihm zu, ein Hauch von Abscheu färbte seine Stimme.
    »Seine Lordschaft starrt nicht zu uns«, versetzte Balan leicht grimmig, »sondern auf unsere Kleider.«
    »Er scheint ein einfältiger Gockel zu sein«, schnaubte Osgoode. »Er stolziert herum wie ein eitler Pfau. Ich würde mir eher die Kehle aufschlitzen, als einen scharlachroten Umhang über einem jagdgrünen Wams mit pflaumenblauen Aufschlägen zu tragen! Mir ist unerklärlich, wie er sich dazu ein blaues Wehrgehenk mit goldenen Troddeln umschnüren kann!« Er schüttelte den Kopf. »Seiner Lordschaft mangelt es offenkundig am feinen Geschmack. In diesem Aufzug gibt er sich der Lächerlichkeit preis. Unsere Kleider mögen ein wenig abgetragen sein, dennoch machen wir mehr her als er in seinem herausgeputzten Festtagsstaat.«
    Balan grummelte leise und wünschte, es wäre wahr. Allerdings befürchtete er, dass man Osgoode und ihm ansah, was sie waren: mittellose Krieger auf der Suche nach einer reichen Braut, um der Grafschaft Gaynor einen harten Winter in Armut zu ersparen.
    »Ich habe doch recht, oder?«, bohrte Osgoode. »Der Mann kann einem nur leidtun. Er hat sich sogar sein Wams auspolstern lassen, damit er figürlich besser dasteht, so wird gemunkelt. Und was seine Kriegskünste anbelangt … die sind zu vernachlässigen. Malculinus übt weder an der Stechpuppe noch mit der Lanze oder im Kampf. Wenigstens haben wir unseren Heldenmut und unsere militärische Erfahrung anzubieten. Alles, was der Bursche hat, ist das Gold seines Vaters.«
    Balan, der den Neid aus der Stimme seines Cousins heraushörte, schwieg und dachte sich seinen Teil. Im Grunde genommen fühlte Osgoode sich genauso fehl am Platz wie er unter diesen erlesen gekleideten Adligen. Balan fühlte sich wie der arme geduldete Cousin bei Tisch.
    »Außerdem haben wir bessere Plätze als er.« Osgoode grinste triumphierend und warf sich in die Brust.
    Balan nickte kaum merklich. Gewiss, sie waren um ihre Plätze zu beneiden, aber diese Plätze hatten sie sich schwer erkämpfen müssen, mit Blut, Schweiß und Loyalität. Balan und Osgoode hatten die letzten Jahre für ihren König gegen die Franzosen gekämpft. Nach der Eroberung von Calais befanden sie sich noch in Frankreich, als in England die Pest ausbrach. Das hatte ihnen wahrscheinlich das Leben gerettet.
    Die Seuche hatte entsetzlich gewütet. Schätzungen zufolge war annähernd die Hälfte der englischen Bevölkerung dem Schwarzen Tod erlegen. Die Toten wurden in aller Eile in Massengräbern beerdigt. Balan kehrte in ein entvölkertes Land zurück, das im Chaos zu versinken drohte.
    »Malculinus beneidet uns um unsere Plätze an der hohen Tafel«, verkündete Osgoode mit einem Hauch von Genugtuung in der Stimme. »Wir sitzen so nah bei den Majestäten, dass uns kein Wort entgehen wird, das aus dem Munde Seiner königlichen Hoheit kommt. Eine schöne Belohnung für unseren Einsatz.«
    Balan grunzte missmutig. Das mit der Belohnung mochte zwar zutreffen, dennoch betrachtete er es eher als Bestrafung, sich in ihrer schäbigen Kleidung quasi auf dem Präsentierteller zu befinden. Zudem saßen sie so nah bei Seiner Majestät, dass sie nicht nur jedes Wort, sondern auch jedwede Flatulenz und jeden Rülpser des Königs mitbekommen würden. Lediglich zwei Plätze trennten sie von ihm. Bislang jedoch glänzte Seine königliche Hoheit durch Abwesenheit.
    Wie auf ein geheimes Zeichen schwangen die hohen Flügeltüren auf und Seine Majestät König Edward III. kam in den Saal – eine stattliche Erscheinung, Ende dreißig, hoch gewachsen und in seine Festtagsgewänder gehüllt.
    »Robert!«, rief Edward aus, kaum dass er seinen Platz an der hohen Tafel eingenommen hatte.
    Der Angesprochene war sofort zur Stelle. »Stets zu
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