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0096 - Die Seelenfänger

0096 - Die Seelenfänger

Titel: 0096 - Die Seelenfänger
Autoren: Gerhart Hartsch
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Rechts des Weges stand auf einer Anhöhe ein abgestorbener Baum. Nackte Äste vor einer blutroten Sonnenscheibe. Dicht an dicht hockten Krähen darauf. Flügel schwirrten. Mißtönende Schreie drangen herüber.
    Die Trostlosigkeit der Gegend, tagsüber gemildert durch das Sonnenlicht, kam jetzt, bei anbrechender Dunkelheit, voll zum Tragen. Der Anblick drückte auf das Gemüt des Betrachters.
    Ein Gefühl drohender Gefahr beschlich Nicole Duval.
    Schnell wurden die Schatten länger. Wind raschelte im Gras und fuhr durch das Heidekraut. Die Krähen schrien und zirkelten flatternd um den toten Baum, der wie ein Galgen aussah.
    Der Weg lief jetzt an der zernarbten Flanke eines Höhenzuges entlang. Links fiel das Gelände steil ab. Dort — tief in der Schlucht — herrschte bereits Grabesdunkel. Wie ein sprungbereites Tier lag die Finsternis auf der Lauer und wuchs und wuchs. Dehnte sich aus, kletterte den Hang hinauf. Schluckte die tiefblauen Konturen ferner Berge, erstickte das Licht der Welt und besiegte die erblassende Sonne, die hinter dem Horizont versank. Dunkle Wolken breiteten sich aus wie Tintenkleckse.
    Nicole Duval hatte längst die Scheinwerfer eingeschaltet. Deren Strahlenfinger tasteten sich zitternd über den rostbraunen Boden. Der Wagen sprang und holperte.
    Professor Zamorra brummte ärgerlich, während sein Finger die verlorene Linie auf der Karte suchte.
    »Dort!«, schrie Nicole und stoppte abrupt das Fahrzeug.
    Sie starrte in den nachtdunklen Schlund der Tiefe.
    In der Mitte der Schlucht brannte ein Kruzifix, das auf dem Kopf stand. Prasselnd fraßen sich Flammen in die Höhe, züngelten die Senkrechte empor und leckten nach dem Querholz.
    »Dann kann Daunton nicht mehr fern sein«, meinte Professor Zamorra unerschütterlich.
    »Ist das alles, was dir dazu einfällt?« schauderte Nicole.
    Empört schaute sie ihren Freund und Brötchengeber an.
    Zamorra zuckte mit der Achsel.
    »Willst du vielleicht diesen Pfad verlassen und dort hinunter fahren, nur um deine Neugier zu stillen?«
    »Wir müssen uns um dieses Phänomen kümmern, sobald wir in Daunton Quartier bezogen haben«, nahm sich Nicole Duval vor.
    »Dazu müssen wir aber weiterfahren«, meinte Zamorra anzüglich.
    Nicole Duval legte gehorsam den Gang ein. Der Wagen aber rührte sich nicht von der Stelle. Die Räder drehten durch.
    »Laß mich mal versuchen«, meinte Zamorra und sie tauschten abermals die Plätze. Jetzt hatte Nicole Duval Muße, das brennende Kreuz genauer in Augenschein zu nehmen.
    »Sieh doch!« rief das Mädchen erstaunt.
    Vor dem brennenden Kreuz war eine Gestalt aufgetaucht in einem weißen wallenden Gewand. Das erinnerte an die Kutten nordamerikanischer Ku-Klux-Klan-Anhänger. Der Rest der Vermummung aber hatte keine Parallele zum Erscheinungsbild irgendeiner bekannten Geheimgesellschaft.
    Die riesige Erscheinung dort unten trug eine Maske aus dem kunstvoll präparierten Schädel eines Ziegenbocks. Weit luden die Hörner aus. Der schlohweiße Bart am Kinn flatterte im Wind.
    In der Hand hielt das Wesen ein Tiergehörn, aus dem es irgend etwas verspritzte, während es gemessenen Schrittes das lodernde Fanal umkreiste. Offenbar irgendwelche Beschwörungen murmelnd.
    »Die Teufelsanbeter von Daunton!« rief Professor Zamorra begeistert. »Ich wußte doch, daß diese Reise sich lohnt.«
    »Wollen wir etwa austeigen und uns den Spuk aus der Nähe ansehen?«, fragte Nicole erschrocken.
    »Was denn sonst? Gefahr droht nur, wenn wir bemerkt werden. Aber wir werden kein Risiko eingehen. Ich werde aus sicherer Entfernung ein paar Aufnahmen mit meiner Spezialkamera schießen. Dann setzen wir unseren Weg fort. Oder willst du lieber hier auf mich warten?«
    »Auf keinen Fall«, schauderte Nicole. »Lieber lasse ich mich von dem Leibhaftigen dort unten auf dem Höllenfeuer rösten.«
    »Dann komm schon«, sagte Zamorra und verriet seine Ungeduld. Der Forschungsdrang ging mit ihm durch. Er hätte nie erwartet, so schnell erste Spuren zu sichten. Die Teufelsanbeter scheuten das Licht der Öffentlichkeit. Sie betrieben ihre entsetzlichen Riten in schützender Dunkelheit, weitab von jeder menschlichen Behausung.
    Daunton galt unter Eingeweihten als eine Hochburg. Und trotzdem gab es nur spärliches Material über die Geheimgesellschaft. Ein amerikanischer Wissenschaftler war vor sechs Monaten samt einer elfköpfigen Begleitmannschaft spurlos verschwunden. Einheimische behaupteten, er habe sich im Hochland verlaufen und sei womöglich im
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