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Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Titel: Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
Autoren: Christian Y. Schmidt
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dann noch dabei, als Stunden später ein paar der Künstler ins Blues & Jazz wollen, Shanghais berühmtestes Jazzlokal. Nicht etwa, weil ihnen der Sinn nach Musik steht. Vielmehr geht das Gerücht um, der Bundespräsident persönlich verbringe den heutigen Abend in diesem Traditionsclub.
    Wir brettern in einem Affenzahn durch Shanghai, um den Mann von Frau Köhler nicht auch noch zu verpassen. Auf der Fahrt überlege ich, was die Künstler eigentlich von Horst Köhler wollen. Ihn zur Rede stellen? «Sagen Sie mal, Herr Präsident, wo war denn heute Abend ihre saubere Frau Gemahlin?» Oder geht es um etwas anderes? Dann sind sie allerdings an der falschen Adresse. Der Präsident des Landes, in dem wir alle wohnen, heißt nicht Horst Köhler, sondern Hu Jintao. Und der sitzt garantiert nicht im Blues & Jazz.
    Horst Köhler letztlich auch nicht. Als wir in dem Lokal ankommen, hockt im Publikum nur die übliche Mischung aus Ausländern und jazzbegeisterten Chinesen. Dafür sitzt ein weißer Mann mit Pferdeschwanz und einem langen Robbenschnauz am Klavier, der mir bekannt vorkommt. Tatsächlich: Es ist Vince «The Prince» Weber, der Boogieman aus Hamburg, bekannt aus allen deutschen dritten Programmen als Fernsehtalkshow-Untermaler. Das ist zu viel. Nichts gegen den Pianisten, aber schließlich lautet das Motto dieser Reise «Allein unter 1,3 Milliarden Chinesen» und nicht «Mit Boogie-Woogie-Untermalung von Pöseldorf nach Oevelgönne». Jetzt muss ich wirklich sofort raus aus Shanghai.

Mission: Impossible IV
In der Wasserstadt Xitang geht der Held der Frage nach, was den chinesischen Schein von der chinesischen Wirklichkeit unterscheidet. Er besteht wichtige Prüfungen, ist aber trotzdem ratlos. Der amerikanische Schauspieler Tom Cruise spielt auch kurz mit.
    «Mission: Impossible III» war kein besonders guter Film, aber auch in den chinesischen Kinos sehr erfolgreich. Vielleicht unter anderem deshalb, weil die letzten zwanzig Minuten in Shanghai spielen. Dabei wäre der Film beinahe wegen dieser Szenen nicht in die hiesigen Kinos gekommen. Die Zensoren vom Filmbüro kritisierten, der Film zeichne ein verzerrtes, unrealistisches Chinabild. Das kann man wohl sagen: Tom Cruise springt in Shanghai von einem Hochhaus und landet mit einem Satz in einem kilometerweit entfernten Stadtteil. Oft ist es auch gar nicht Shanghai, was da im Film gezeigt wird: Große Teile der Straßenszenen wurden in Los Angeles gedreht, andere in der von Shanghai neunzig Kilometer entfernten Wasserstadt Xitang. Das ist ungefähr so, als hätte man Szenen für einen deutschen Hauptstadtschocker in einem Dorf im Spreewald gefilmt, wollte dem Publikum aber weismachen, es handele sich hier um Berlin-Mitte.
    Sicher: Ein Spielfilm ist kein Dokumentarfilm. Aber auch die Fernsehfeatures und Reportagen westlicher Fernsehsender malen oft seltsame Porträts des Landes. Hinterher haben die Leute etwas im Kopf, das ungefähr so aussieht: China ist eine schlimme kommunistische Diktatur bei gleichzeitigem Raubtierkapitalismus, alle sind bitterarm, bis auf ein paar Reiche, die allesamt korrupt sind und am Wochenende in Stadien Leute erschießen. Die Armen aber tragen weiterhin alte, verschlissene Mao-Anzüge, in denen sie bis zum Umfallen in Kohlegruben oder unter einem grauen, tief versmogten Himmel schuften. Während die Chinesen gefaktes Kinderspielzeug herstellen, vergiftete Schuhe und verseuchte Autos, lächeln sie geheimnisvoll.

    Mir fällt das alles gerade ein, weil ich zwei Tage nach der Vince-Weber-Vision im Blues & Jazz tatsächlich auf einem Busbahnhof stehe und ein Ticket nach Xitang in der Tasche habe, der Stadt, in der der chinesische Part von «Mission: Impossible III» gedreht wurde. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um einen regulären Busbahnhof, sondern einen für Tourbusse, den ich nach hartnäckiger Recherche schließlich doch gefunden habe. Von hier aus starten Tagestouristen zu Fahrten in die Umgebung Shanghais. Als ich gestern Nachmittag unter den ganzen Ausflugsangeboten eine Tour nach Xitang fand, griff ich sofort zu. Zwar muss ich für das ganze Tourpaket bezahlen, obwohl ich nicht nach Shanghai zurückfahre. Doch der Tourbus ist wohl die einzige Möglichkeit, ohne Umwege in diese Stadt zu kommen, die nur ein paar Kilometer südlich der 318 liegt.
    Jetzt ist es Sonntagmorgen, und ich bin tatsächlich der einzige Ausländer auf dem Busbahnhof unter Tausenden von Chinesen, die sich aufgeregt plappernd auf ihren Ausflug freuen.
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